13.07.10
Schwierige Wahrheitssuche an der Odenwaldschule
(MEDRUM) Die sexuellen Mißbrauchsfälle an der Odenwaldschule sind noch lange nicht verarbeitet. Der Versuch aufzuklären sorgt für weiter wachsenden Gesprächsstoff. Dies offenbarte sich beim Treffen einer "Wahrheits-Kommission", die zusammentrat, nachdem ein Tag zuvor die Schlüsselfigur des Mißbrauchs, der ehemalige Schulleiter und Reformpädagoge Gerold Becker unerwartet verstarb.
Gerold Becker sei so allgegenwärtig gewesen, wie es ein Toter nur sein könne, berichtete die ZEIT über das Treffen an der Odenwaldschule zu einem öffentlichen Hearing ("Ringen um Aufarbeitung", 12.07.10). "Wo man geht und steht, diskutieren Grüppchen von Altschülern über die Geschehnisse", so die Wochenzeitung. Was im Hearing selbst zu Tage befördert wird, ist von brutaler Opferwahrheit, wirft aber mehr Fragen auf als zunächst Antworten gegeben werden können. Es bleibe wenig Konkretes. Die Moderatorin Andrea Thilo habe ihre Erkenntnis später in der Notwendigkeit einer "Kultur des Hinsehens" zusammengefasst, schreibt die ZEIT. Und die beiden mit der Aufklärung befassten Juristinnen sollen geäußert haben, sie bezweifeln, überhaupt jemals einen Abschlußbericht vorlegen zu können, der diesen Namen verdiene.
Neben der juristischen Aufklärung hat sich vor allem gezeigt, daß auch Untersuchungsbedarf zum Konzept der Reformpädagogik besteht. Ein Lehrer wird von der ZEIT mit der Äußerung zitiert: "Wir Lehrer an der OSO hatten keine Konzepte, wir hatten nur unsere Ideologien. Wir haben unsere Kämpfe ausgetragen, die Kinder waren nur Zuschauer. Die ganze Pädagogik der Odenwaldschule war zutiefst kinderfeindlich. Die Ära Becker und die Ära Harder kommen mir im Nachhinein wie ein einziger grandioser Bluff vor." Dieser besorgniserweckende Eindruck wird auch durch die TAZ in ihrem Bericht "Eine Bedürfnisbefriedigungsanstalt" bestätigt (11.07.10). Die TAZ stellt die provokante, aber naheliegende Frage, ob die Odenwaldschule nicht eine Bedürfnisbefriedigungsanstalt war, die nebenher ein wenig Schule machte. Ein Lehrer bemerkte laut TAZ: "Wir waren die ganze Zeit mit uns selbst beschäftigt." Es drängt sich die Frage auf, was von einem Konzept der Reformpädagogik zu halten ist, das dieses möglich macht. Doch von einer schlüssigen Antwort auf die Frage, was am System, was am Konzept der Reformpädagogik und seiner Realisierung falsch ist und geändert werden müsste, scheinen die um Aufklärung bemühten Akteure noch weit entfernt zu sein.
Vor diesem Hintergrund nimmt Felizitas Küble, Vorsitzende des Christoferuswerkes, den Tod Gerold Beckers zum Anlaß zu fragen, ob der Mißbrauch weiterleben oder die Reformpädagogik reformiert werden wird, um wenigstens künftig Mißbrauch zu verhindern.
Felizitas Küble → Gerold Becker ist tot. Lebt der Mißbrauch weiter oder wird die Reformpädagogik reformiert? (Artikel nicht mehr abrufbar)
12.07.10 | Zeit | 100 Jahre Odenwaldschule - Ringen um Aufarbeitung |
12.07.10 | Spiegel | "Wir fuhren genitalien" |
11.07.10 | TAZ | Eine Bedürfnisbefriedigungsanstalt |
10.07.10 | Spiegel | "Ich wurde erzogen, mit Erwachsenen ins Bett zu gehen" |
09.07.10 | FOCUS | Früherer Leiter der Odenwaldschule ist tot |
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Leserbriefe
Odenwaldschule
Sehr geehrte Damen und Herren, ich möchte den Artikel über die Odenwald-Schule zum Aufhänger dafür nehmen, dass überhaupt wegen der "Sexuellen Mißbrauchssachen" bisher so gut wie nichts ermittelt ist. Immer wieder gibt es Behauptungen, die zitiert werden und mit dem Zitat vom Zitat gehen dann Sender und Printmedien erneut vor ihr Publikum. Was ist FAKT ???? Alles andere mag hintanstehen für mich jedenfalls, der an linke Utopien (Odenwald-Schule) eh nie geglaubt hat. Viele Grüße aus Mannheim Mathias Wagener