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Reich-Ranicki und Gottschalk: Niveau kontra Quote


18.10.08

Reich-Ranicki's und Gottschalk's Kontroverse: Niveau kontra Quote

Wetten, dass ... es nicht gelingt, mit Bildung im Fernsehen erfolgreich zu sein?

(MEDRUM) Die gestrige Diskussion zwischen Marcel Reich-Ranicki und Thomas Gottschalk offenbarte einmal mehr, dass sich Fernsehen auch bei den öffentlich-rechtlichen Sendern in erster Linie an der Zuschauerquote und nicht am Niveau der Sendungen orientiert. Dem widersetzte sich Reich-Ranicki mit seiner Forderung, Mut zu niveauvollen Sendungen zu zeigen und sich mehr Mühe für ein seriöses, anspruchsvolles Programm zu geben.

Im Gespräch mit Thomas Gottschalk bekräftigte der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki zunächst seine Kritik am Niveau der Beiträge, die bei der Verleihung des Deutschen Fernsehpreises ausgezeichnet wurden, ebenso wie an den Aufführungen, die dem Publikum bei der mehrstündigen Abendveranstaltung in Köln geboten wurden. Er habe nichts zu bedauern, er nehme nichts zurück. "Die Veranstaltung war abscheulich", so Reich-Ranicki. Er habe viel Zustimmung für seine Kritik erhalten. Er wundere sich aber darüber, dass sein Mut besonders erwähnt wurde und meinte: "Es gibt doch keine Gestapo mehr. Man braucht doch keinen Mut zu sagen, diese Sendung ist schlecht." Es mag einige Beiträge gegeben haben, die ausgezeichnet wurden und dies verdient haben mögen, aber aus den kurzen Einspielungen, die bei der Preisverleihung gezeigt worden seien, sei dies nicht erkennbar gewesen. Das Schlimme seien die vielen Clowns auf der Bühne gewesen (gemeint war beispielsweise Atze Schröder) und dass man alles Mögliche zusammen in einen Mixer stecke, das ginge nicht. Auch zu den Entscheidungen der Preisstifter äußerte sich Reich-Ranicki kritisch. Sie hätten sich nicht einmal darauf einigen können, wofür er selbst den Preis bekommen habe. Für das literarische Quartett oder für die Lebensleistung? Es sei sowohl das eine wie das andere genannt worden. Diese Leute seien nicht geeignet, Preise zu vergeben, so Reich-Ranicki.

Der Hauptteil des Gespräches war anschließend der Programmgestaltung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens gewidmet. Man müsse wissen, welche Aufgabe, welche Funktion das Fernsehen habe, stellte Reich-Ranicki heraus, aber nach seinem Eindruck wüssten das die Intendanten am wenigsten. "Die haben keine Ahnung vom Fernsehen. Die geben sich Mühe, aber es kommt nicht viel raus", so der Literaturkritiker. Gottschalk nahm die öffentlich-rechtlichen Intendanten in Schutz. Diese Intendanten würden teilweise gerne ein Fernsehen sehen, wie Reich-Ranicki es sehen wolle, sie könnten es jedoch nicht machen, weil sonst niemand zuschauen würde, meinte Gottschalk. Die Intendanten von RTL und Sat1 sah er grundsätzlich in einer anderen Position. Diese überzeugen zu wollen sei etwa so, wie wenn man einen Metzger von der vernünftigen vegetarischen Ernährung überzeugen wollte. Gottschalk: "Wenn er's glaubt, ist er arbeitslos."

Reich-Ranicki konterte: Alle Kritiker hätten zwar stets den Zuspruch der Intendanten, aber dieser sei stets verbunden mit dem altbekannten Argument, es ginge nicht. Dafür zeigte Reich-Ranicki wenig Verständnis. Es müsse zumindest einen Kompromiß geben, den er aber nicht sehe. Die Fernsehkritiker hätten dieses Terrain mittlerweile verlassen, weil sie keinen Sinn mehr in ihrer Kritik gesehen hätten. Und man habe die Fernsehbesprechung nicht in allen, aber in sehr vielen Fällen den Volontären und Hospitanten überlassen, weil erwachsene Menschen keine Lust mehr hätten, darüber zu schreiben, fügte er hinzu.

Gottschalk brachte als einen Grund für mangelnden Erfolg der Bildung im Fernsehen auch die Distanz zwischen den intellektuellen Kreisen und dem einfach gebildeten Zuschauer zur Sprache. Er merkte kritisch an, es gebe gebildete Kreise, die dem dem Fernsehen den Rücken zukehrten, woraus auch eine gewisse Arroganz der Intellektuellen sprechen könne. Sie sähen weder das positive "Goldkörnchen" im Programm, noch seien sie bereit, das Fernsehen an die Hand zu nehmen und ihre konstruktive Hilfe anzubieten.

Mit großem Nachdruck stellte Gottschalk den Zuspruch des Zuschauers als das entscheidende Kriterium des heutigen Fernsehen heraus: "Heute gilt im Fernsehen der Erfolg." Entscheidend sei die Zielgruppe der 13 bis 49-jährigen. "Die Sendungen für diese Menschen, die unterhalten werden wollen, haben eben mehr Erfolg als bildende Sendungen wie etwa eine Biographie Kissingers", meinte Gottschalk. Reich-Ranicki ließ das Argument, Fernsehen müsse unterhalten, nicht als Rechtfertigung eines niedrigen Niveaus gelten. "Man kann auch für einfach gebildete Menschen Unterhaltung liefern, die ein bestimmtes Niveau hat, man muß nicht den Schwachsinn liefern", erwiderte Reich-Ranicki unbeirrt. Einige Nummern, wie sie beim Deutschen Fernsehpreis dargeboten worden seien, seien schlicht blödsinnig gewesen. So etwas solle man nicht zeigen. Unterhaltung und gutes Niveau seien kein Widerspruch. Keiner Geringerer als Friedrich Schiller habe festgestellt, dass Theater und Literatur keine andere Aufgabe hat, als Unterhaltung zu liefern. Im Vorwort zur "Braut von Messina" habe dies Schiller klar beschrieben. Der größte Dichter in der Geschichte der Menschheit sei der Unterhaltungsdichter Shakespeare gewesen, der mit seinen Stücken die Menschen unterhalten habe. Dies habe auch der größte Poet des 20. Jahrhunderts, Bertolt Brecht, gewußt, und deswegen die Musik in seiner Dreigroschenoper einbezogen und damit einen der größten Erfolge des Theaters geliefert. Brecht wäre genau der Richtige für das Fernsehen, erklärte Reich-Ranicki. Gottschalks Frage, ob es denn nicht sein könne, dass die Atze Schröders und Helge Schneiders in 200 Jahren als die Shakespeares der heutigen Zeit angesehen werden könnten, wies Reich-Ranicki entschieden zurück: "Nein, es ist ja alles schlecht, was diese machen." Es sei schrecklich gewesen, was er in einem Programm mit Helge Schneider erlebt habe.

Gottschalk fragte Reich-Ranicki auch danach, wie denn seiner Meinung nach ein besseres Niveau erreicht werden könne. Darauf Reich-Ranicki: "Die Programmverantwortlichen müssen Angst haben, wenn sie nichts Unterhaltsames und Seriöses bieten." Gottschalk konterkarierte: "Die haben Angst, aber Angst vor der ungenügenden Quote." Gottschalk versuchte Reich-Ranicki klar zu machen, dass er zu viel positive Erwartungen in das Publikum setze. "Du glaubst an das Publikum, wir werden aber immer wieder davon enttäuscht", so Gottschalk. Die Zeiten seien heute anders. "Mit den klassischen Stoffen kann man die jungen Leute nicht unterhalten", meinte er. Das grundsätzliche Problem, dem das Fernsehen aus Sicht von Gottschalk ausgesetzt ist, kennzeichnete er mit einigen griffigen Sätzen: "Wenn wir es uns leisten können, Programme zu machen, die in Schönheit sterben, dann sollen wir das tun. Und die öffentlich-rechtlichen Sender tun das auch teilweise. Wenn wir uns aber dem Erfolg verpflichtet sehen, dann müssen wir auf Quote gucken, und dann sehen wir alt aus."

Reich-Ranicki bekräftigte jedoch seine vielfach wiederholte Auffassung, dass das Fernsehen mehr Mut haben sollte und sich mehr Mühe geben müsse. Man könne Niveauvolles so präsentieren, dass die Gebildeten glücklich seien und die einfachen Leute es verstehen. Am Beispiel einer Sendung über die Buchmesse machte er deutlich, worauf es aus seiner Sicht ankommt: "Früher wurde es intelligenter gemacht. Man muss das Interessante, das Gute heraussuchen." Es komme darauf an, dass man sich genügend Mühe gebe, aber man gebe sich zu wenig Mühe. Er sei gespannt zu sehen, ob dies mit der Verfilmung seiner Biographie "Mein Leben" anders sei.

Gottschalk will nun die Probe aufs Exempel machen und Reich-Ranicki's Hypothese überprüfen. Er kündigte an, in seine Sendungen einen Bildungsteil von wenigen Minuten einzubauen und will sehen, wie das ankommt.  Allerdings machte er seine Skepsis von vorneherein deutlich und meinte: "Irgendwann nimmst du deinen Preis mit, wenn ich es geschafft habe, mit einem bildenden Inhalt Erfolg zu haben, Quote zu machen. Ich glaube nicht, dass das passieren kann." Reich-Ranicki hielt dagegen und glaubte, dass dies Erfolg haben und eine Riesenwirkung haben könnte. Es bleibt also ein Stück gespannte Hoffnung auf den angekündigten Versuch Gottschalks, versuchsweise 3 Minuten Bildung in seine Sendung einbauen zu wollen. Es ist eigentlich eine Art Wette, die nun zwischen Reich-Ranicki und Gottschalk läuft. "Wetten, dass es nicht gelingt, mit Bildung erfolreich zu sein", lautet die unausgesprochene Wette Thomas Gottschalks. Sollte Gottschalk gewinnen, könnte sich Reich-Ranicki wohl kaum noch dagegen wehren, den ungeliebten Fernsehpreis entgegenzunehmen. So lange wird er weiterhin bei Gottschalk verweilen.


MEDRUM-Artikel -> ZDF-Fernsehpreis: Marcel Reich-Ranicki im Gespräch mit Thomas Gottschalk