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Orgelpfeifen klingen auch bei Ehebruch


25.09.10

Orgelpfeifen klingen auch bei Ehebruch

Europäische Menschenrechtslogik: Ein Kirchenorganist darf nach der Moral eines Jörg Kachelmann leben und trotzdem öffentlich das Lied der Kirche ertönen lassen.

von Kurt J. Heinz

(MEDRUM) Ehe, Treue, sexuelle Beziehungen und Lebenswandel eines Kirchenorganisten gehen die Kirche nichts an, denn die Orgelpfeifen interessiert es nicht, wer sie zum Klingen bringt. Das ist die Essenz einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR), der das Vertrauen in Vertragsverhältnisse zunichte gemacht hat, wie sie die katholische Kirche mit einem Organisten abgeschlossen hatte.

In diesem Urteil ging es beim EGMR um die Frage, ob die Kirche den Arbeitsvertrag eines Organisten für beendet erklären darf, der von ihm gebrochen wurde. Der Beschwerdeführer hatte sich darüber beklagt, daß die Kirche ihm kündigte, nachdem er gegen das Gebot verstoßen hatte, seiner Ehe und Familie die Treue zu halten und nicht zu scheiden, was Gott zusammengefügt hatte. Der EGMR hat bei dieser Klage nicht geprüft, ob der Organist gegen seinen Arbeitsvertrag verstoßen hatte, sondern entschied vielmehr: Im vorliegenden Fall durfte der Kirchenorganist die Pflicht seines Arbeitsvertrages mißachten und die Kirche muß dies als Vertragspartner hinnehmen.

ImageDer EGMR gab dem Beschwerdeführer also recht. Es wurde für rechtens erklärt, daß er einen Vertrag mit der Kirche folgenlos verletzen kann. Was ein Organist mit seinem Privatleben mache, sei seine Sache. Sein Privatleben müsse geschützt werden. An dieser Auffassung änderte die Tatsache nichts, daß der Orgelmann zuvor selbst vertraglich zugesichert hatte, sein Privatleben nach den Grundsätzen der Glaubensgemeinschaft zu führen, für die er arbeiten wollte. Doch diese Verpflichtung interessierte ihn nicht mehr, als er sich später von seiner Ehefrau trennte und eine andere Frau schwängerte. Die Kirche hat dennoch nicht das Recht, den Vertrag als beendet anzusehen. Mit anderen Worten: Die Kirche hätte also gar nicht erst verlangen dürfen, daß sich der damalige Bewerber verpflichtet, das Ehegebot einzuhalten. Eine solche Vereinbarung zählt nichts, wenn es zum Schwur kommt. Die Kirche muß den Organisten mit seiner Lebensweise spielen und schwängern lassen. Das ist das Fazit, das aus dem Urteil des EGMR gezogen werden kann.

Damit ist klar: Ob ein verheirateter Kirchenorganist sein Ehegelöbnis mit einer Geliebten bricht, seine Frau und Kinder verlässt und auch mit anderen Frauen Kinder zeugt, bleibt ohne Bedeutung für sein anderslautendes Arbeitsverhältnis. Diesem Entscheidungsgrundsatz zufolge spielt es auch keine Rolle, wie viele Geliebte er hat und neben seiner Ehefrau schwängert. Er könnte also - wie Jörg Kachelmann - auch mit sechs, sieben oder acht Geliebten Betten teilen und Nächte verbringen. Den Orgelpfeifen ist's egal. Und diese zum Klingen zu bringen, ist schließlich die Aufgabe des Organisten und nichts anderes, so die Logik im Urteil des Gerichtshofes.

Was folgt daraus? Der Herr wohnt zwar unverändert in seinem Haus der Kirche, die Kirche ist aber nicht mehr Herr im eigenen Haus. Im Fall des Organisten heißt das: Herein mit dem Orgelmann - und seinen Geliebten. Hinaus mit dem Herrn und seinen Geboten. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte macht's möglich. Wozu noch Verträge, wenn ihre Pflichten durch ein solches Urteil zur Farce gemacht werden? So verkommen nicht nur Vertragsfreiheit und Rechtssicherheit, sondern auch das wohlklingende Lied der Kirche zu einem Mißklang atonal gestimmter Orgelpfeifen, bei dem weder Grund- noch Obertöne stimmen. Haben die Kirche und ihre Gläubigen etwa kein Recht, sich solche disharmonischen Konzerte nicht auch noch im eigenen Hause anhören zu müssen? Und schließlich: Wer sich verpflichtet, sich gesund zu ernähren, dann aber gesunde Kost ablehnt und selbst Fast Food feilbietet, sollte wenigstens nicht noch den Anspruch erheben, dies ausgerechnet im Reformhaus tun zu wollen.


 

Leserbriefe

Dieses Beispiel zeigt einmal mehr die zunehmende Dekadenz der Gesellschaft. Aber mal ehrlich – kann dies überraschen? Eigentlich nicht. Es war doch nur eine Frage der Zeit, bis es soweit kommt. Für die Kirche sollte dies aus meiner Sicht der Anlass sein, über ihr Verhältnis zur Welt und ihre Verstrickung in derselben nachzudenken. Dadurch, dass kirchliche Mitarbeiter für Ihre Tätigkeit bezahlt werden, was durch weltliche Gesetze geregelt ist, hat sich die Kirche eben auch mit der Welt eingelassen. Wenn es, wie zu Beginn das Christentums, keine Berufsgeistlichen und Berufsmusiker in der Kirche gäbe, hätte sie dieses Problem auch nicht. Man kann es also auch als einen Hinweis darauf ansehen, den unnötigen Ballast abzuwerfen und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren.

Das Urteil ist verheerend. Und zwar nicht nur für die Kirchen. Sondern ebenso auch für unser Gemeinwesen. Denn das kirchliche Selbstbestimmungsrecht ist ein fundamentales Element des freiheitlichen Rechtsstaats. Wird dieses problematisiert, dann gibt es fortan auch keinen Gewissensschutz und keine Religionsfreiheit. Dann rutschen auch die anderen Freiheitsrechte des Grundgesetzes weg. Denn diese sind in der Religions- und Gewissensfreiheit fundiert. Darum verwundert es in höchstem Maße, dass die Leitungen beider Kirchen bis jetzt ihre Stimme noch nicht laut und intelligent erhoben haben. In sozialen Fragen sind sie ja immer schnell bei der Hand, Ansprüche zu stellen und vom Staat für alle möglichen sozialen Aufgaben mehr Geld zu fordern. Hier aber geht es um die Freiheit von uns allen! Ist das denn so schwer zu begreifen? Ein Rückzug der Kirchen aus öffentlicher Verantwortung mag zwar eigene fromme Gefühle zu streicheln. Verantwortungsvoll ist das aber keineswegs.

wie der EMGR entschieden hätte, wäre Analoges bei einem Muezzin passiert.

In diesem Falle sollte die Kirche das "Urteil" ignorieren. Sie steht unter höherem Recht. Brüssel hat nicht das geringste Recht, sich hier einzumischen. Wir sollen Gott mehr gehorchen, als den Menschen. Im Zweifel muss man kreativ damit umgehen und die Stelle des Organisten für Dauer abschaffen und ehrenamtlich besetzten.

Das Bananen-Urteil wurde von einer Kleinen Kammer gefällt und ist nicht definitiv. Die deutsche Regierung kann innerhalb von drei Monaten Rechtsmittel einlegen, indem sie eine Überprüfung durch die Große Kammer des Straßburger Gerichts fordert. Das sollte sie tun, also nicht jammern sondern beten, dass das Recht noch Recht bleibt