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"Mundtot machen, zum Schweigen bringen, ist eines Rechtsstaats unwürdig."


24.05.10

"Mundtot machen, zum Schweigen bringen, ist eines Rechtsstaats unwürdig."

Richter Engelfried kritisiert Umgang mit dem Sorgerechtsfall von Petra Heller im Grundrechte-Report 2010

(MEDRUM) Bereits im 14. Jahr erscheint ein Grundrechte-Report zur Lage der Menschenrechte in Deutschland. Der diesjährige Bericht wurde am 20.05.2010 von Ex-Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP) in Karlsruhe vorgestellt. Teil des Berichtes ist auch der medienbekannte Fall von Petra Heller, die seit 2004 vergebens um das Sorgerecht für ihren damals 9-jährigen Sohn kämpft und ihre Grundrechte verletzt sieht.

Skandalöse Odysee

Der Entzug des Sorgerechtes ist ein einschneidender Eingriff des Staates in das Grundrecht von Eltern und Kindern, als Familie zusammenzuleben.  Petra Heller setzt sich seit Jahren gegen den Entzug des Sorgerechtes für ihren Sohn erfolglos zur Wehr. Selbst ein eigens gegründeter Verein, vielfache juristische Schritte und die Berichterstattung in prominenten Medien haben an der Wegnahme des Sohnes von seiner Mutter Petra Heller bisher nichts geändert. Heller sieht im Vorgehen der staatlichen Instanzen ihre und die Grundrechte ihres Sohnes verletzt. MEDRUM berichtete im Zusammenhang mit der Sendung von Jürgen Fliege über den Fall, den er als skandalöse Odysee bezeichnete. Jürgen Fliege in seiner Sendung 2009 dazu:

"Jetzt, in diesem Augenblick, versteckt sich in der Schweiz eine Konzertsängerin, Petra Heller, schon drei Jahre lang, weil sie so zu sagen von den Behörden in Deutschland, sie ist Deutsche, gesucht wird, um sie unter Betreuung zu stellen. ... Sie soll unter Betreuung gestellt werden, weil sie vor viereinhalb Jahren sich geweigert hat, als ihr Sohn so zu sagen wegen Borreliose wahrscheinlich in Behandlung kam, und bei ihr man auch meinte, irgendwie Krankheitsbilder feststellen zu können. Eine Odyssee wie sie in Mitteleuropa unendlich skandalös ist."

Ex-Bundesinnenminister Gerhard Baum (FDP): Gefahr der Aushöhlung von Grundrechten

Umstrittene staatliche Eingriffe in die Grundrechte von Familien aus unterschiedlichen Gründen sind keine Seltenheit und kommen immer wieder ins Rampenlicht der Öffentlichkeit, wie beispielsweise die Inhaftierung von Eltern, die ihre Kinder nicht an umstrittenen Theateraufführungen im Rahmen der staatlichen Sexualerziehung von Grundschulen teilnehmen lassen wollen ( MEDRUM berichtete → Inhaftierungswelle geht weiter ). Unter ähnlich eklatanten Eingriffen leiden Familien wie die Familie Dudek aus Herleshausen, in der beide Elternteile zu mehrmonatigen Haftsstrafen verurteilt wurden, weil sie ihre Kinder nicht in staatlichen Schulen unterrichten lassen, sondern ihnen Hausunterricht erteilen, oder wie die Eltern der Familie Busekros, denen Sorgerechte entzogen  wurden, weil ihre Tochter schulische Probleme hatte. Im Fall von Familie Busekros, deren Tochter gegen den Willen der Familie in die Psychiatrie und ein Heim eingewiesen worden war, stellte der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in einem Berufungsverfahren im April 2010 fest, die Mitarbeiter des Jugendamts hätten zum Teil ratlos agiert, nur dürftige Argumente für die Einweisung der 15-jährigen Tochter in ein Heim gehabt und sich auf Vermutungen statt Fakten gestützt. Zu den wenigen Fällen, in denen es gelungen ist, gegen umstrittene staatliche Eingriffe auf dem Rechtsweg erfolgreich vorzugehen, gehörte auch der Fall der Familie Gorber, über den MEDRUM ausführlich berichtete ( → Sechs Kinder einer bibeltreuen Familie entrissen und in staatlichen Gewahrsam genommen ).

Vor der grundsätzlichen Gefahr einer Aushöhlung von Grundrechten warnte aktuell der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP). Er  forderte bei der Vorstellung des Grundrechtereports am Donnerstag ein größeres Engagement für eine Demokratiebewegung. Noch überwiege die Gleichgültigkeit. Baum wies darauf hin, daß auch in einer Demokratie die Grundrechte nicht vor offener und schleichender Aushöhlung sicher seien. Die "taz" schrieb unter der Überschrift Bewegung für Bürgerrechte gefordert zum Grundrechtereport: "Grundthese des 'alternativen Verfassungsschutzberichts': Nicht linke und rechte Extremisten gefährden die Freiheit in unserer Gesellschaft, sondern der Staat."

Richter Engelfried: Fälle wie der von Petra Heller dürften eigentlich nicht vorkommen

Der Fall von Petra Heller macht diese Problematik besonders deutlich. Er wurde deswegen zum Gegenstand eines Artikels im diesjährigen Grundrechte-Report gemacht. Warum Petra Hellers Fall in den Grundrechtereport aufgenommen wurde, begründet Ulrich Engelfried, Richter am Amtsgericht Hamburg-Barmbek und Mitherausgeber des Grundrechtereports in einer Stellungnahme, die MEDRUM vorliegt. Engelfried zu den Gründen:

"Es geht natürlich zu allererst um den Einzelfall. Es hat sich mir nicht erschlossen, weshalb Behörden hier mit einer Rigorosität auftreten, als handele es sich um einen Fall der Terroristenbekämpfung.

Das Grundgesetz und die Regelungen des BGB schreiben vor, dass die Trennung eines Kindes von seinen Eltern die Ultima Ratio sein muss. Liest man die zugänglichen Argumente, so stellt sich dem Beobachter die Frage, ob hier überhaupt eine „Ratio" walten konnte. Die Trennung eines Kindes von seiner Herkunftsfamilie in dieser Art und Weise kenne ich als Familienrichter nur im Falle schwerster Verfehlungen gegen das Kind. Solche Verfehlungen vermag ich hier nicht einmal im Ansatz zu erkennen. Als Richter bin ich beschämt, wenn ich lese, wie hier der Rechtsstaat versagt, als Vater macht mir das Vorgehen der Behörden Angst.

Es wird aber auch ein generelles Problem deutlich: Im Bereich des Kinderschutzes, der Jugendhilfe und des Familienrechts werden rechtsstaatliche Garantien nicht immer mit der gebotenen Sorgfalt beachtet. Im Bewusstsein „wir sind die Guten", glauben viele Akteure anscheinend, im Besitz der universellen Wahrheit allwissend und allmächtig zu sein, rechtsstaatliche Verfahrensgarantieren erscheinen in diesem Zusammenhang nur lästig. Es reicht eben nicht, dass sich Behörden gegenseitig „aufeinander verlassen" und die Gerichte das „durchwinken", was die Behörden vorgeben. Jede beteiligte staatliche Stelle hat die Pflicht, sich ein eigenes Bild zu machen. Geschieht dies, können Fälle wie der von Petra Heller und ihrem Sohn eigentlich nicht vorkommen.

Mit dieser Dimension gehört der Vorgang zweifellos in den Grundrechtereport.

Was bleibt einer betroffenen Familie? Ganz offensichtlich nur der Weg an die Öffentlichkeit. Obrigkeitsstaatliche Denkweise will ihnen dies natürlich verwehren, wendet es gegen sie. Geschieht dies, treten vollends Orwell´sche Dimensionen zutage. Mundtot machen, zum Schweigen bringen ist aber eines Rechtsstaats unwürdig."

SWR-Sendung zum Grundrechte-Report

Der Fall von Petra Heller ist eine von zahlreichen Fallstudien, die das Problem Grundrechte und staatliche Eingriffe im Grundrechte-Report aufwerfen und auch das Interesse der Medien finden. Der Streit um das Sorgerecht für Petra Hellers Sohn dürfte mittlerweile ganze Berge von Akten bei Gerichten, Rechtsanwälten, staatlichen Behörden sowie Gutachtern füllen und Unsummen von steuerlichen und privaten Geldern verschlungen haben. Über mehrere Jahre hinweg demonstrierten Menschen jeden zweiten Samstag vor dem Alten Rathaus in Bamberg, um gegen das staatliche Vorgehen zu protestieren. Es gibt ein extra eingerichtetes Internetportal http://www.petra-heller.com, das eine Fülle von Material über diesen Fall enthält.

Über die Gefahr der schleichenden Aushöhlung von Grundrechten wird auch der SWR berichten; Sendezeit: Dienstag, 25. Mai 2010 um 22.15 Uhr. Weitere information: Schleichende Aushöhlung – Der Grundrechte-Report 2010

Bibliographische Angaben Grundrechte-Report

Grundrechte-Report 2010 - Zur Lage der Bürger- und Menschenrechte in Deutschland; Herausgeber: T. Müller - Heidelberg, U. Finckh, E. Steven, K. Schubert, M. Pelzer, A. Würdinger, M. Kutscha, R. Gössner und U. Engelfried;
Fischer Taschenbuch Verlag; Mai 2010, Preis € 9,95; 280 Seiten; ISBN 3596-18678-5.

Die Herausgeber: "Der Grundrechte-Report versteht sich auch in seinem 14. Erscheinungsjahr als „Alternativer Verfassungsschutzbericht", als Sprachrohr für alle, die sich für Menschen- und Bürgerrechte einsetzen. Das Spektrum der Themen ist erneut breit und reicht von in der Öffentlichkeit und den Medien präsenten Themen wie dem Umgang mit den Piraten der Neuzeit über die Vorkommnisse um den NATO-Gipfel in Straßburg und Kehl, den Versuch des hessischen Ministerpräsidenten Koch, die journalistische Unabhängigkeit des ZDF zu untergraben, bis zum Anfang des Jahres vorläufig gescheiterten „SWIFT"-Abkommen. Weitere Themen: staatliche Kindeswohlgefährdung, Internetsperren, Videoüberwachung als Dauerthema im Versammlungsrecht, Lagerunterbringung von Flüchtlingen, Anti-Terrorcamp-Gesetzgebung." ( Präsentation Grundrechtereport)


MEDRUM → Kampf gegen Sorgerechtsentzug in der Talkshow Fliege

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MEDRUM → Jürgen Rüttgers für sexuelle Zwangserziehung von Grundschülern

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