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Melanchthons Brief an die Theologen in Frankfurt

Kirchen

29.04.10

Melanchthons Brief an die Theologen in Frankfurt

Offene Worte über die sichtbaren Folgen des neuen Glaubens

von Manfred Schmitt

(MEDRUM) Philipp Melanchton warb vor mehr als 450 Jahren in einem Brief an die Frankfurter Theologen um Zustimmung für das Augsburger Interim, mit dem 1548 Kaiser Karls V. nach dem Sieg über den Schmalkaldischen Bund seine religionspolitischen Ziele im Heiligen Römischen Reich durchsetzen wollte.

Der Brief ist inhaltlich und sprachlich geradezu ein Juwel . Erstaunlich ist seine Offenheit im Hinblick auf die eigenen Verfehlungen der Reformatoren und sein Kummer über die sichtlichen Folgen des neuen Glaubens. Es ist faszinierend was in dieser Zeit geschrieben, gesagt, getan wurde und heute weitgehend in Vergessenheit geraten ist. Melanchthon schrieb:

„Wir wollen jetzt um so geduldiger die Knechtschaft ertragen, weil wir Alle den Vorwand der Freiheit zu sehr gemißbraucht haben. Wir müssen gestehen, daß viele bei Störung der kirchlichen Lehre mit nicht gewöhnlicher Unbesonnenheit verfahren sind. Nicht nur das Volk, sondern auch die Führer und die Alten haben zu sehr die Übungen der Enthaltsamkeit, die dem Gebete so zuträglich sind, vernachlässigt.

Viele Lehrer haben ihren Leidenschaften mehr, als recht ist, gehuldigt, Einige auch unzeitiger Weise die Sach der Kirche und andere Angelegenheiten in einander Gemengt. Diese unsere Fehler und vieles Andere wollen wir nach der Warnung, welche uns die gegenwärtigen Bekümmernisse zukommen lassen, beweinen und die Knechtschaft so tragen, daß wir nicht vom Platze weichen, so lange wir der Kirche etwas nützen können.

Auch wird hierdurch die christliche Freiheit nicht verloren. Unser Herz weiß, daß nicht in dergleichen Gebräuchen der Gottesdienst besteht, sondern daß andere größere Werke, wahrer Glaube, Gebete, Liebe, Hoffnung, Geduld, Wahrhaftigkeit, Beichte, Keuchheit, Gerechtigkeit und andere Tugenden, wahrer Gottesdienst sind. Ohne diese Lehre und ohne diese Tugenden ist die äußerliche Freiheit in Speisen, Kleidung und ähnlichen gleichgültigen Dingen keine christliche Freiheit, sondern eine neue Verfassung, die vielleicht darum dem Volke angenehmer ist, weil sie weniger Bande hat.

Man rückt uns das Wort Pauli vor: Wenn ich das, was ich zerbrochen habe, wiederum baue, so mache ich mich selber zu einem Übertreter (Gal 11.18). Paulus hat nicht gefehlt im Zerbrechen. Aber in dieser unserer Schwachheit fand damals, als zuerst die alten Gebräuche abgeschafft wurden, eine große Verschiedenheit unter den Lehrenden, unter den Meinungen und unter den Gegenden statt. Einige schafften die Privatbeichte gänzlich ab, was ich für Unrecht halte, daher ich auch vor dieser Zeit die Wiederherstellung derselben gewünscht habe. Laßt uns nur gestehen, daß wir Menschen sind, und daß wir allerdings Manches leichtsinniger und (in) unüberlegter Weise haben sagen und thun können.

Dergleichen wollen wir, wenn es geschehen ist, ohne Murren wieder gut machen. Aber auch die Herstellung anderer Gebräuche, die als Mitteldinge angesehen werden können, ist keine Übertretung, wenn nur die Reinheit der Lehre erhalten wird."

Melanthons Werben blieb erfolglos. Während die Landesherren dem Interim bereits zugestimmt hatten, wandte sich der Theologenkreis gegen die Verordnung. Der Brief findet sich in einem protestantischen Werk von Karl Adolf Menzel aus dem 19. Jhdt.: „Neuere Geschichte der Deutschen" Breslau 1830; Bd. 3, S. 328 ff. Die 8 Bände von Karl Adolf Menzel ( 1. Bd. ab 1926) sind eine wahre Fundgrube an Ereignisschilderungen, vor allem aber an zitierten Quellen aus unterschiedlichster Herkunft.