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Leiter der OJC: "Wir haben eine viel höhere Meinung von der Souveränität junger Erwachsener"


03.02.13

Leiter der OJC: "Wir haben eine viel höhere Meinung von
der Souveränität junger Erwachsener"

Im Gespräch mit Konstantin Mascher, Neumitglied des Hauptvorstandes der
Deutschen Evangelischen Allianz und Leiter der Offensive Junger Christen

(MEDRUM) Die ökumenische Kommunität Offensive Junger Christen (OJC) wird immer wieder angefeindet, weil sie angeblich Umpolungstherapien für Homosexuelle anbietet und homosexuell empfindende Menschen diskriminiert. Deswegen wollen jetzt das Bundesfamilienministerium und die Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in Deutschland die Offensive Junger Christen einer Sonderprüfung unterziehen, bei der die Förderungswürdigkeit als Träger des Freiwilligen Sozialen Jahres auf den Prüfstand gestellt werden soll. Der Hessische Rundfunk berichtete, es drohe die Streichung der Fördermittel  (MEDRUM: Bundesfamilienministerium und Evangelische Jugend ermitteln gegen Offensive Junger Christen). Der Prior der Kommunität, Konstantin Mascher, der erst vor einigen Wochen in den Hauptvorstand der Deutschen Evangelischen Allianz berufen wurde, stand Rede und Antwort zu seiner Neuberufung und zu aktuellen Fragen über die Offensive Junger Christen.

Richtschnur: Fröhliches und kraftvolles Bekenntnis zum Evangelium Christi

Herr Mascher, Sie sind als neues Mitglied in den Hauptvorstand der Deutschen Evangelischen Allianz berufen worden. Was bedeutet diese Berufung für Sie persönlich und die Kommunität, der Sie als Prior vorstehen?

Mascher: Die Nominierung und die Wahl in den Hauptvorstand der Allianz ist für mich zuerst einmal ein Zeichen des Vertrauens, nicht nur in meine Person und Arbeit, sondern vor allem dem Werk gegenüber, dem ich seit April 2012 als Leiter und Prior vorstehe. Für unsere ökumenische OJC-Kommunität ist dieser Vertrauensbeweis der Dachorganisation evangelischer und evangelikaler Christen auch im Sinne der Ökumene eine große Ermutigung.

Daraus kann man folgern, dass Ihnen die Evangelische Allianz sehr wichtig ist, weshalb?

Mascher: Weil ich das Anliegen der Evangelischen Allianz für wegweisend halte: die Vernetzung unter Christen und das gemeinsame Einstehen für biblisch fundierte Werte. Außerdem freue ich mich, dass die Allianz verstärkt die Anliegen der jüngeren Generation in den Blick nehmen möchte.

Was liegt Ihnen als Vorstandsmitglied der Allianz besonders am Herzen?

Mascher: Die Ökumene. Es ist unabdingbar, dass sich Christen, die auf der Grundlage der Bibel Kirche gestalten und Gesellschaft prägen möchten, einander jenseits der Institutionen in den Blick bekommen und gemeinsam ihre Stimme erheben. Die Allianz vereinigt sowohl historisch bewährte als auch sich neben den Volkskirchen behauptende Gemeinschaften, die das breite Spektrum des Protestantismus spiegeln. Dieses Spektrum spiegelt sich auch in der Zusammensetzung unserer Mitglieder in der OJC. Ich wünsche mir für die Zukunft, dass die Leuchtkraft des christuszentrierten Glaubens auch durch die Verbundenheit mit bekennenden Christen im römischen Katholizismus, in der Orthodoxie und in der anglikanischen Weltkirche stärker wird.

Was bedeutet für Sie der Begriff „evangelikal“?

Mascher: Ich verstehe darunter ein verbindliches, fröhliches und kraftvolles Bekenntnis zum Evangelium Christi als Richtschnur kirchlichen und gesellschaftlichen Lebens. Das habe ich persönlich in meiner Studentenzeit an „evangelikalen“ Gemeinden kennen- und wertschätzen gelernt.

Die Vorwürfe treffen ins Leere

Die OJC steht zur Zeit in der Kritik. Ihr wird nicht nur von Volker Beck, sondern kürzlich sogar vom Sozialminister des Landes Hessen, vorgeworfen, das zur OJC gehörende Institut DIJG wolle mit einem Therapieangebot Homosexuelle heilen. Der Leiterin des DIJG wird beispielsweise von der Nachrichtenagentur dapd nachgesagt, sie vertrete seit Jahren öffentlich die Auffassung, dass Homosexualität eine therapierbare Krankheit sei. Wie sagen Sie zu diesen Vorwürfen?

Mascher: Die Vorwürfe treffen ins Leere, weil sich die Kläger über Sachverhalte empören, die sie uns andichten. Wir haben mehrfach durch Pressemitteilungen dazu Stellung bezogen. Das DIJG bietet selbst keineTherapie an, weder für eine Heilung homosexuell noch heterosexuell empfindender Menschen oder sonstige Therapien. Wir haben übrigens überhaupt nur begonnen, uns mit Fragen zur Homosexualität forschend zu befassen, weil junge Menschen mit ihren Fragen und Problemen an uns herangetreten sind, zu denen wir in der Vergangenheit wenig sagen konnten. Das wollten wir ändern. Wir wollten junge Menschen mit dringenden Nöten nicht alleine stehen lassen, sondern gesprächsfähig sein, ihnen Orientierungshilfen geben  und ergebnisoffen Hilfsmöglichkeiten aufzeigen können.

Welche Erfahrungen haben Sie mit jungen Menschen gemacht, die Konflikten wegen ihrer sexuellen Orientierung ausgesetzt sind?

Mascher: Lange Zeit dachte ich, dass solche Menschen gar nicht existieren. In meiner Schülerzeit habe ich mich für die Anliegen der Homosexuellenbewegung eingesetzt. Schon während des Studiums, und später auch in der OJC, bin ich Menschen begegnet, die sich aufgrund ihrer Orientierung in einem tiefen inneren Konflikt befanden. Sie machten mir klar, dass ihnen das vielgepriesene Coming Out und das Eintauchen in einen homo- oder transsexuellen Lebensstil nicht die erhoffte Perspektive eröffnet hat, nach der sie sich sehnten. Die meisten haben begonnen, sich mit den tiefer liegenden Lebensthemen auseinanderzusetzen. Einige machten sich auf den Weg einer Veränderung. Es gibt auch jene, die den Weg nicht zu Ende gehen oder ihn erst gar nicht beschreiten. Das ist allein ihre Entscheidung. Ich fühle mich auch letzteren verbunden.

Wie gehen Sie mit solchen Menschen um?

Mascher: Ich gehe mit ihnen genau so um, wie mit jedem anderen Menschen auch. Ihre Fragen sind ja auch meine Fragen: Es geht um das Annehmen meiner geschlechtlichen Identität. Damit muss ich mich als nichthomosexuell empfindender Mann genauso auseinandersetzen, wie jeder homosexuell empfindende Mann.

Volker Beck behauptet, dass junge Menschen bei Ihnen gefährdet sind. Die Diakonie dürfe Praktiken von "Homoheilern" unter ihrem Dach nicht dulden, meint er. Können Sie diese Kritik verstehen?

Mascher: Nein. Denn dieser Vorwurf ist an Unterstellungen und Fehleinschätzungen geknüpft. Die Menschen, die um ihre Identität als Mann, als Frau oder mit ihrer sexuellen Orientierung ringen, sind in vielerlei Hinsicht gefährdet, deshalb suchen sie ja Rat und Unterstützung. In dieser Hinsicht verstehen wir zwar Volker Becks Sorge um die Betroffenen. Aber es ist nicht nachzuvollziehen, wieso es für die Fragen dieser Menschen nur eine "erlaubte" Antwort geben soll, die der affirmativen Therapie zur Stärkung der schwul-lesbischen Identität. Das halten wir nicht für angemessen. Es gibt keine Standardantwort. Konflikte und mögliche Gefährdungen hängen vom individuellen Einzelfall ab und sind unterschiedlich ausgeprägt.  Deshalb möchten wir den Weg zur Suche nach der Identität im Ermessen der betroffenen Person lassen! Hervorheben und nochmals betonen will ich an dieser Stelle aber ganz besonders, dass das DIJG keine Therapien anbietet, sondern über Therapiemöglichkeiten oder therapeutische Verfahren informiert. Was Rat- und Hilfesuchende tun, liegt allein bei ihnen. Auch das, was Sie erreichen wollen. Sie bestimmen selbst, ob sie sich einem Therapeuten anvertrauen wollen, und vor allem, was Ziel einer Therapie sein soll. Das vereinbaren sie jeweils selbst mit ihren Therapeuten, und dies gehört weder zu den Aufgaben des DIJG, noch ist das DIJG daran beteiligt.

Keine „Normierungsversuche“ seitens der Gemeinschaft

Zur Zeit leisten 15 Menschen einen Freiwilligendienst bei der OJC. Welche jungen Menschen kommen zu Ihnen? Sind das streng religiöse Leute oder auch solche, für die Religion weniger wichtig ist, für die soziale Aspekte mehr im Vordergrund stehen?

Mascher: Die meisten der jungen Erwachsenen, die sich bei uns für einen Freiwilligendienst (FSJ und BFD) bewerben, bringen vor allem ihre eigenen Lebensfragen mit. Ein christliches Bekenntnis ist keine Voraussetzung für einen Freiwilligendienst bei uns, wohl aber die Bereitschaft, sich auf unsere Liturgie des Alltags einzulassen. Darunter verstehen wir wiederkehrende geistliche Elemente wie die tägliche Stille vor Gott, das liturgische Mittagsgebet, Bibelarbeiten und die wöchentlichen Abendmahlsfeiern. Wir laden sie ein, sich mit ihrem Glauben auseinanderzusetzen und ermutigen sie dazu, es kritisch zu tun. Die christliche Spiritualität und Werte sind ja die Grundlage für unser soziales Engagement, für das sich viele Jugendliche und junge Erwachsene begeistern.

Auch hier kann ich das persönlich nur unterstreichen. Als ich vor 16 Jahren aus Afrika in die OJC kam, um ein halbes Jahr bis zum Studium zu überbrücken, wollte ich mit dem christlichen Glauben nicht wirklich etwas zu tun haben. Ich durfte meine kritischen Fragen stellen und es gab keine „Normierungsversuche“ seitens der Gemeinschaft. Das hatte mir imponiert.

Abbau von Feindbildern und Fremdenhass

Müssen sich auch Freiwillige mit Fragen zur Homosexualität befassen? Sind solche Themen Bestandteil der pädagogischen Begleitung, zu der die OJC verpflichtet ist?

Mascher: Schon allein aufgrund der häufigen Angriffe gegen uns ist es mitunter gar nicht zu vermeiden, dass die Teilnehmer des FSJ und BFD auch mit Fragen zu diesem Themenkomplex in Berührung kommen. Der Schwerpunkt unserer pädagogischen Arbeit ist das gemeinsame Leben und Arbeiten in den Teams und die Begleitung der jungen Menschen in ihren konkreten persönlichen Fragen.

Welche Ziele verfolgen Sie bei der pädagogischen Begleitung? Was ist den Menschen, die bei Ihnen mitleben, besonders wichtig und was können diese nach einem Jahr des Mitlebens für ihr künftiges Leben mitnehmen?

Mascher: Sie suchen bei uns das, was auch uns begeistert. Das ist zum einen die intensive Auseinandersetzung mit aktuellen Fragen der Zeit, Gerechtigkeit, Versöhnung zwischen Generationen und Nationen, den Dialog der Religionen und Weltanschauungen –  dies alles in einer medialisierten und globalisierten Welt. Wir tun dies mit ihnen auf der Grundlage des biblischen Glaubens. Viel wichtiger aber als die Theorie ist das praktische Engagement. Im kleinen, dem alltäglichen Miteinander, aber auch in größeren Projekten und Zusammenhängen. Sie bauen mit an einem Waisenhaus in Russland oder an einem Gemeindezentrum im zerbombten kroatischen Cakovec. Sie kommen als Gastgeber mit jungen, vom Terror traumatisierten Israelis ins Gespräch und besuchen sie in ihrem Land. Sie fasten vor Ostern, um vom gesparten Geld eines unserer sozialdiakonischen Partnerprojekte in armen Ländern zu unterstützen. Sie lernen, respektvoll mit Menschen aus anderen Kulturen zu diskutieren. Und dabei lernen sie vor allem sich selbst kennen. Das ist unser Beitrag zum Abbau von Feindbildern und Fremdenhass.

Vorstellungen des Abgeordneten Kai Klose nicht nachvollziehbar

Wer bestimmt die Gestaltung der pädagogischen Begleitung? Haben die Freiwilligen ein Mitspracherecht?

Mascher: Unsere pädagogische Arbeit erfüllt die Standards des Landes Hessen. Darüber hinaus haben wir uns als Träger des FSJ und BFD den erweiterten Qualitätsstandards des Trägerverbunds evangelischer Träger (Ev. Freiwilligendienste gGmbH) verpflichtet, dem wir als anerkannter Träger seit einigen Jahren angehören. Die Schwerpunkte bei der Begleitung sind so vielfältig wie die Persönlichkeiten, die sie in Anspruch nehmen. Die Freiwilligen formulieren mit ihren Mentoren ihre eigenen Zielvorgaben für das Jahr und geben nur sich selbst darüber Rechenschaft. Im Laufe der Jahre haben wir eine Sammlung von schriftlichen Berichten über das Mannschaftsjahr erstellt und publizieren sie in unserer Zeitschrift Salzkorn. Die Nachfrage nach FSJ-Plätzen bei uns ist immer größer als unsere Aufnahmekapazität – das sehen wir als Beleg dafür, dass unser Angebot für viele attraktiv ist.

Für mich ist es überhaupt nicht nachzuvollziehen, welche Vorstellung der grüne Abgeordnete Kai Klose von der geistigen Reife und Autonomie eines jungen Erwachsenen hat. Wie kommt er in seiner Anfrage an die hessische Landesregierung auf die Idee, sie wären nicht in der Lage, sich selbst eine Meinung zu sexualethischen und anderen Fragen zu bilden und seien der Manipulation schwärmerischer Gruppen hilflos ausgeliefert, bzw. müssten pädagogisch behutsam an vermeintliche Wahrheiten herangeführt werden? Wir haben eine viel höhere Meinung von der Souveränität dieser jungen Erwachsenen und stellen uns gern ihren kritischen, wachen Fragen.

Menschliches Miteinander soll gelingen

Kann die OJC aus ihrer Arbeit mit jungen Menschen (gemeint sind auch FSJ) auch etwas davon in die große Gemeinschaft der Deutschen Evangelischen Allianz einbringen?

Mascher: Im Kern ist es die Erfahrung, dass lebendiges Christsein nur dann möglich ist und ansteckend wirkt, wenn sich darin der Glaube mit dem Denken und dem Handeln verbindet. Spirituelles Leben, apologetisches Argumentieren und diakonisches Handeln gehören zusammen. Genau das üben wir miteinander ein. In der Allianz sind viele Werke vereinigt, die die Betonung mal auf diesen, mal auf jenen Aspekt des Christseins legen. Wir möchten dazu beitragen, dass diese Aspekte in der Praxis nicht auseinanderstreben und wir die gegenseitige Ergänzung innerhalb der Allianz neu schätzen lernen. Das ergibt sich in einer Zeit der zunehmenden Spezialisierung und Atomisierung der Gesellschaft, und auch der Kirche, nicht von selbst.

Und wir möchten daran erinnern: Es gibt keine Patentrezepte im Glauben und im Leben. Das einzige, was trägt, ist das Bemühen um Authentizität. Um Ehrlichkeit im Umgang mit anderen und mit sich selbst. Erst recht in Glaubensfragen. Was uns dabei entzündet, ist die Hoffnung, dass menschliches Miteinander gelingen kann, weil Gott den Menschen für und in Gemeinschaft erschaffen hat. Wir möchten junge Menschen ermutigen, Jesus Christus nachzufolgen, der selbst Menschsein authentisch leben konnte, weil er alles in der lebendigen Beziehung zum Vater sprach und tat. Für dieses Hoffnungskonzept werde ich mich auch im Vorstand der Deutschen Evangelischen Allianz einsetzen.

Herr Mascher, ich danke Ihnen für Ihre Antworten und wünsche Ihnen und Ihrer Kommunität viel Erfolg und Gottes Segen für Ihren Weg mit jungen Menschen.

Das Gespräch führte Kurt J. Heinz

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