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Kommentar zur Verschiebung des Stichtages im Stammzellgesetz

11.04.08


Die Entscheidung zur Verschiebung des Stichtages im
Stammzellgesetz -

Eine politische Entscheidung zwischen zwei Ethiken?

von Kurt J. Heinz

In der Bundestagsdebatte zur
Novellierung des Stammzellgesetzes standen sich zwei „Ethiken“ gegenüber. Die
„Ethik
des Lebens“ und die „Ethik des Heilens“. Wer für die embryonale Stamm­zellforschung
argumentierte, konnte dies mit der Ethik des Heilens begründen, wer sich
dagegen aussprach, konnte dies mit der Ethik des Lebens rechtfertigen. Gibt es
diese beiden Ethiken als vergleichbare ethische Legitimationen?

Aus dem
christlichen Glauben heraus betrachtet gibt es nur eine Ethik. Die Ethik der
Liebe. Sie schließt alles ein, was an Ethiken genannt werden mag. Die Liebe im
christlichen Glaubensverständnis ist das vorbehaltlose Ja zum Leben, aber auch
das Ja zum Heilen und Helfen. Das Ja zum Helfen ist aber kein Ja, das dem Leben
entgegen gestellt werden kann, sondern ein Dienst am und für das Leben. Dieses
Ja als Dienst und Hilfe für das Leben ist kein Dienst, der gegen das Leben
abgewogen werden darf. Jedes Leben hat sein eigenes Recht, das in Gott als
Schöpfer des Lebens begründet ist. Hilfe für ein Leben rechtfertigt es daher
nicht, Leben, und sei es auch noch so jung, um der Hilfe für ein anderes Leben
willen zu opfern.

Die
Existenz dieses realen Lebens lässt sich nicht nur aus biologischer, sondern
auch aus allgemein ethischer Sicht nur an einem einzigen Zeitpunkt festmachen:
Der Zeitpunkt der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle, als dem Zeitpunkt, an
dem die Einheit und das Subjekt Mensch als Individuum entsteht, als Zeitpunkt,
an dem alles angelegt ist, was jedem einzigartigen Individuum Mensch seine
unvergleichliche Identität und sein Recht auf Existenz gibt. Jeder spätere
Zeitpunkt ist auf willkürlich gesetzte Kriterien angewiesen und bringt
Begründungsnöte mit sich, die sich letztlich nicht überwinden lassen.

Leben ist
nach seinem Entstehungszeitpunkt in einem lebenslangen, kontinuierlichen
Prozess der Entwicklung, der mit der befruchteten Eizelle beginnt, der sich
fortsetzt über ein Mehrzellstadium bis hin zum mehrmonatigen Embryo und später
dem neugeborenen Säugling, und der schließlich seinen Abschluss findet mit dem
alternden, kranken und sterbenden Menschen. Wer will da anhand welcher
Kriterien entscheiden, dass das Leben erst zu einem gewählten Zeitpunkt nach
der Zeugung beginnt? Eine solche Entscheidung ist ebenso fragwürdig wie jede
Entscheidung abzulehnen ist, dass Leben bereits vor dem Zeitpunkt des Sterbens
endet. Jeder, der dies versucht, gerät in ein unvermeidliches ethisches
Dilemma. Er kann einerseits jeden anderen Zeitpunkt nicht ethisch über­zeugend
begründen und er muss sich andererseits demzufolge eingestehen, dass er über
Leben abwägend disponiert.

Auch die
Fragestellung, ab welchem (oder bis zu welchem) Zeitpunkt ein Subjekt „Mensch“
Träger menschlicher Würde sein kann, kann hier nicht weiterhelfen. Sie kann
Normen und Rechtssicherheit schaffen beim Umgang mit Rechten, die der Mensch
dem Menschen zuschreibt, und kann damit zwar helfen, praktikable Antworten
darauf zu geben, wie mit den Rechten des Lebens in unserer Wirklichkeit
umgegangen werden soll, an den ethischen Grund­gegeben­heiten ändert sie
nichts. Der Mensch existiert mit der ihm eigenen Identität vom Zeitpunkt der
Verschmelzung von Ei- und Samenzelle an. Nicht 3 Tage, oder 3 Monate, oder 9
Monate später, und er hat sein ethisch fundiertes, eigenes Recht auf Existenz,
von Anfang an.

Die
angestellten Überlegungen machen erst recht deutlich, das Argumentationen, die
auf die Notwendigkeit der Forschung, die Forschungsfreiheit, oder gar
vergleichend auf das internationale Geschehen abheben, um vermeintliche
Kompromisslösungen zu begrün­den, aus ethischer Sicht letztlich nicht tragfähig
sind. Es gibt in der Frage des Lebens keinen ethischen Kompromiss! Denn jede
Abwägung über das höchste Gut „Leben“ aus jedem noch so gutgemeinten und
sachlich zutreffenden Motiv verbietet sich. Dies gilt bei der embryonalen
Stammzellforschung, bei der es nicht um Handlungen geht, unmittel­bare Bedrohungen
auf Leben abzuwehren, in gleicher Weise wie dies das Bundes­verfassungsgericht
beim Urteil über das Luftsicherheitsgesetz befunden hat.

Das Recht
auf Leben und seine Würde hat höchsten Rang, von Anfang an. Auch wenn es schwer
fällt, müssen wir es ertragen, wenn wir nicht in sein ureigenes Existenzrecht
als unantastbarem Gut eingreifen dürfen, auch dann nicht, wenn wir anderem
Leben damit helfen wollen, wie es die Vertreter einer „Ethik des Heilens“ aus
verständlichen und achtenswerten Gründen für sich in Anspruch genommen haben.
Deswegen ist die heutige Entscheidung des Bundestages zur einmaligen
Verschiebung - bei allem Respekt vor den Beweggründen der Abgeordneten und der
demokratischen Legitimation der Entscheidung eine - hoffentlich einmalige - Niederlage
für das Leben.


-> Bericht über die Debatte