28.03.11
Kernschmelze der Glaubwürdigkeit
SPD, CDU und FDP verlieren stetig an Zustimmung
Ein Zwischenruf von Kurt J. Heinz
(MEDRUM) Union, FDP und SPD haben verloren, die Grünen haben gewonnen. Auch wenn die SPD künftig in Baden-Württemberg Regierungsverantwortung übernehmen und in Rheinland-Pfalz mit Hilfe der Grünen an der Macht bleiben kann, ergeht es der SPD wie dem bürgerlichen Lager von CDU und FDP. Sie müssen - zur Freude der Grünen - empfindliche Zustimmungsverluste hinnehmen. Während sich die SPD damit tröstet, mit Hilfe der Grünen zu regieren, müssen CDU und FDP zusehen, wie sie in den Ländern nicht nur Stimmenanteile (Julia Klöckner in Rheinland-Pfalz ist die Ausnahme), sondern auch Regierungsverantwortung verlieren.
Die Landtagswahlen im Südwesten der Republik haben sowohl den beiden Volksparteien SPD und CDU wie den Liberalen zum Teil erhebliche Stimmenverluste eingebracht. Werden die Stimmenanteile dieser drei Parteien in Rheinland-Pfalz zusammengerechnet, kommen sie nach 86,4 % im Jahr 2006 auf jetzt nur noch auf 75,1 % der Stimmen. Noch größer ist ihr Stimmenverlust in Baden-Württemberg. Nach 80,1 % in 2006 konnten sie 2011 nur noch 67,4 % der Stimmen für sich verbuchen. Gleichzeitig gewannen die Grünen in Rheinland-Pfalz 10,8 Prozentpunkte hinzu und stiegen auf 15,4 Prozent, mehr als eine Verdreifachung ihres Stimmenanteils. In Baden-Württemberg konnten sie sogar 12,5 Prozentpunkte zulegen und erreichten mit 24,2 %, mehr als eine Verdoppelung ihres Stimmenanteils. Die Tektonik der Parteienlandschaft ändert sich zusehends. Die dahinter stehenden Verluste haben mehrere, zum Teil unterschiedliche Ursachen, werden aber auch durch einen Faktor beeinflusst, der bei jeder Partei von zentraler Bedeutung ist: die Glaubwürdigkeit ihrer Politik. Die Wahlergebnisse geben zu erkennen, daß das Vertrauen in die SPD wie auch CDU und FDP erschüttert ist.
Was bei der SPD bereits vor Jahren im Gefolge der Agenda 2010 mit den Hartz IV-Reformen begann, ereilte nach der Bundestagswahl 2009 zuerst die FDP und danach auch die CDU. Noch vor einem halben Jahr vereinbarten CDU und FDP eine selbst in der Union zum Teil umstrittene Laufzeitverlängerung für Kernkraftwerke, um jetzt, beim Eintritt der Katastrophe in Japan, den Hebel plötzlich umzulegen. Was im Herbst 2010 noch als revolutionäres Konzept für eine saubere, sichere und bezahlbare Energieversorgung dargestellt und mit großer Eile gegen erhebliche Kritik im Bundestag durchgesetzt wurde, scheint nun über Nacht gegenstandslos geworden zu sein. Mit einem Knopfdruck wurde in Windeseile abgeschaltet, was zuvor als nahezu unverzichtbar galt. So holen die Union und FDP nun im Angesicht der Tragödie von Fukushima die Sünden der Vergangenheit ein. Das Wendemanöver "Moratorium" mißlang, weil die Union auf ihrer energiepolitischen Fahrt einen Zick-Zack-Kurs nicht glaubwürdig vermitteln konnte. Die FDP hatte daran ihren ganz besonderen Anteil. Kein geringerer als das Kabinettsmitglied Brüderle erschütterte mit seinen unbedachten Äußerungen in der BDI-Runde in der Frage des Kernkraftwerk-Moratoriums die Glaubwürdigkeit der Unionsführung und die der Regierungskoalition insgesamt. Erst kurz zuvor stand die Glaubwürdigkeit der CDU bereits in der Guttenberg-Affäre auf dem Prüfstand. Zu spät erkannte die Unionsführung, daß ein Verbleib von zu Guttenberg im Ministeramt nicht durchzuhalten war, ohne schlechterdings die eigene Glaubwürdigkeit in Mißkredit zu bringen. Und schließlich geriet die Vertrauenswürdigkeit von CDU und FDP auch noch durch die Stimmenthaltung in der Libyenfrage im UN-Sicherheitsrat auf außenpolitischem Gebiet in Gefahr. Solidarität mit den Menschen in Libyen, die sich gegen einen Tyrannen zur Wehr setzen, und Solidarität mit Bündnispartnern, die sich entschlossen haben, den Menschen in Libyen militärisch beizustehen, kann nicht durch Stimmenthaltung im Sicherheitsrat und das Ausscheren aus der Durchsetzung des Waffenembargos im Mittelmeer glaubhaft demonstriert werden. Auch an dieser Kurssetzung hatte die FDP entscheidenden Anteil.
Wenn Parteien so wie SPD, CDU und FDP agieren, dürfen sie sich über den Verlust an Glaubwürdigkeit und in seiner Folge über den Verlust an Wählerstimmen nicht wundern. In den Wahlergebnissen von SPD, CDU und FDP spiegelt sich ihre dahinschmelzende Glaubwürdigkeit wider. Sie haben es versäumt, ihre politischen Konzepte und Handlungsmuster als Antwort auf entscheidende Zukunftsfragen solide zu durchdenken, um sie werteorientiert, vertrauenswürdig und glaubhaft vermitteln zu können. So geraten sie ins Schlingern, wenn ihre Antworten auf den Prüfstand gestellt werden, einerlei ob es um soziale Gerechtigkeit, um versprochene Steuerentlastungen, um die Rettung des Euro, um einen täuschenden Doktoranden, die Solidarität mit Bündnispartnern in einer Wertegemeinschaft oder letztlich um die Nutzung der Kernenergie geht. In der Krise helfen dann auch hektisches Taktieren und noch so gut gemeinte Durchhalteparolen oder Wendeargumente schwerlich, um beim Bürger glaubwürdig bleiben zu können. Dies alles könnte, zynisch betrachtet, einem fast perfekt ausgeklügelten Drehbuch entstammen, mit der Wähler in das Lager einer Partei getrieben werden, deren Kompetenz und Glaubwürdigkeit sich gerade jetzt bewiesen zu haben scheint.
Das bürgerliche Lager aus CDU und FDP muß sich wie die SPD mit der Tatsache vertraut machen, daß ihnen eine Kernschmelze ihrer Glaubwürdigkeit droht oder vielleicht sogar schon begonnen hat. Diese kann weder durch kopfloses Taktieren noch durch beschönigende Rhetorik oder auch durch entschlossene Rücktritte allein abgewendet werden. Helfen können nur ein kühler Verstand, solide Arbeit sowie ein vorausschauender und klarer politischer Kurs. Es muß ein Kurs sein, bei dem das Schiff nicht schon bald nach dem Auslaufen auf Grund läuft, und der auch dann noch beibehalten werden kann, wenn es stürmisch wird. Das verlangt, wesentlich mehr als bisher, den Blick weit über das Tagesgeschehen und Wahltage hinaus auf den Gesamthorizont ihrer Politik zu richten und dafür die geeigneten Köpfe zu finden. Dann können Parteien vor dem Wähler bestehen - zwischen und an den Wahltagen .
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Zum Vergleich ergänzend der Trend bei den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt und Hamburg:
SPD, CDU und FDP erreichten bei der Wahl in Sachsen-Anhalt 2011 insgesamt einen Stimmenanteil von 57,8 % (2006: 65,2 %), verloren damit 7,4 Prozentpunkte. Die Grünen erhielten 6,7 % der Stimmen (2006: 4,4 %) und Freie Wähler erzielten 4,9 % (2006: nicht angetreten). In Hamburg ging der Stimmenanteil von 81,5 bei der Wahl in 2008 auf 76,8 Prozentpunkte im Jahr 2011 zurück.
27.03.11 | MEDRUM | Ergebnis der Landtagswahl Rheinland-Pfalz 2011 |
27.03.11 | MEDRUM | Ergebnis der Landtagswahl Baden-Württemberg 2011 |
21.03.11 | MEDRUM | Sachsen-Anhalt: Verluste für CDU, FDP und DIE LINKE, Gewinne für die Grünen |
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