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Kämpferischer Islamismus ein absolutes Randproblem?


04.12.09

Jerzy Montag: "Kämpferischer Islamismus ein absolutes Randproblem"

Michel Friedman fragte Jerzy Montag (Bündnis 90/Die Grünen) und Norbert Geis (CSU) nach der Angst vor dem Islam

von Kurt J. Heinz

(MEDRUM) In der N24-Sendung "Studio Friedman" begrüßte Michel Friedman am Donnerstagabend den Politiker der Grünen, Jerzy Montag, und den CSU-Politiker Norbert Geis zum Gespräch über das Thema "Angst vor dem Islam?"

Sind die Ängste der Menschen berechtigt? Warum sollen Minarette verboten werden? Hat Erdogan recht? Sind wir rassistisch? Dies sind einige der Fragen, die Friedman seinen Gesprächsgästen stellte. Den Anstoß für Friedman's Sendung gab die Debatte um das Schweizer Minarett-Verbot nach der Volksabstimmung vom vergangenen Sonntag. Im Gespräch mit den beiden Bundespolitikern wurden einige Gemeinsamkeiten, aber teilweise auch klare Akzentunterschiede bei ihrer Sicht von Problemen erkennbar.

Der CDU-Politiker Bosbach habe nach der Minarett-Abstimmung gemeint, die Ängste der Menschen müssten ernst genommen werden. Damit leitete Friedman die Frage ein: „Wovor hat man eigentlich Angst hier?"

Geis meinte, Angst sei vielleicht nicht das richtige Wort, Sorge sei eher angebracht: „Er verstehe, daß die Menschen Sorge hätten. Wir müssen doch feststellen, daß wir hier vier Millionen Muslime haben, die nicht bereit sind, sich zu integrieren", so Geis. Es gebe Bereiche in Großstädten, in denen viele Menschen ausländischer Herkunft lebten, aber keine Deutschen mehr. Dort entstünden Parallelgesellschaften. In größeren Städten wie Berlin, Hamburg oder München gebe es Kindergärten, in denen bereits 50 Prozent der Kinder ausländischer und 50 Prozent deutscher Herkunft seien. Deshalb sorgten sich Eltern um die Zukunft ihrer Kinder. Der Unionspolitiker verwies auch darauf, daß sich die heutigen Verhältnisse in 30 bis 40 Jahren voraussichtlich so verändern würden, daß die Hälfte der Bevölkerung dem muslimischen Glaubens angehören könnte. Vor diesem Hintergrund erklärte Geis, daß Integration eine dringliche Aufgabe ohne Alternative sei: „Ob wir nun wollen oder nicht, es ist unsere Pflicht und unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, daß die dennoch integriert werden. Und ich sehe nur eine einzige Möglichkeit, indem wir auf diese Leute zugehen, es bleibt uns nichts anderes übrig, und zwar so schnell als möglich."

Der Grünenabgeordnete Montag vertrat eine zum Teil andere Auffassung. Nur ein kleiner Teil der Muslime sei nicht bereit, sich zu integrieren. Montag: „In München gibt es zwar Straßen, in denen es viele türkische Geschäfte gibt, man braucht aber in keiner einzigen Straße Angst zu haben." Er betonte, 80, 90, 95 Prozent der Muslime gingen nicht einmal in die Kirche. Auch in den Kindergärten sei es nicht die Regel, daß 50 Prozent der Kinder ausländischer Herkunft seien, setzte Montag entgegen. Aber er räumte ein, es gebe Parallelgesellschaften, weil es Versäumnisse in der Stadtpolitik gegeben habe. Insgesamt schwächte Montag die Argumentation von Geis allerdings stark ab: "Es gibt politische Kräfte, die diese Ängste schüren wollen, aus der konservativ-rechten Ecke, aus Teilen der Union, aus konservativen Kreisen der christlichen Kirchen." Aufgrund der geschichtlich kulturellen Prägung der Menschen in Westeuropa könne er jedoch verstehen, dass die relativ junge und neue Religion bei uns zu Auseinandersetzungen und Reibungsflächen führe. Man müsse mit diesen Menschen, die bei uns seien und bei uns auch bleiben würden, reden. "Aber der kämpferische Islam ist ein absolutes Randproblem", stellte Montag mit Nachdruck heraus. Hier stimmte ihm Norbert Geis nicht vorbehaltlos zu. Er verwies auf die Erkenntnisse des Verfassungsschutzes, der immerhin von einem Potential von etwa 30.000 Extremisten spreche.

Was den Menschen Angst mache, zeigte Norbert Geis auch am Beispiel des Übertritts vom moslemischen zum christlichen Glauben auf. Geis dazu: "Wenn ein Muslim in Teheran, also in einem muslimischen Land, in einem islamischen Land, vom muslimischen Glauben Christ werden würde, wenn er sich taufen lassen würde, müsste er damit rechnen, zum Tod verurteilt zu werden. Das ist etwas, was uns Angst macht." Die unterschiedlichen Verhältnisse zwischen westlichen und islamischen Staaten führte Geis darauf zurück, daß der Islam noch nicht durchgemacht habe, was wir durchgemacht hätten, nämlich die Säkularisation. Geis: "Wir haben erreicht, dass der Staat sich zurückzieht, Staat nicht mehr identisch ist mit der Religion, und dass damit Religionsfreiheit möglich ist. Und das ist in den islamischen Ländern nicht der Fall." Jerzy Montag relativierte dieses Argument von Geis. Diese Säkularisation sei ganz frisch. Sie gelte erst seit dem II. Vatikanischen Konzil. Montag ignorierte mit seiner Feststellung, daß mit dem Reichsdeputationsgesetz bereits im Jahr 1803 eine umfassende Säkularisierung stattgefunden hatte. Geis klärte den Grünenpolitiker auf: "Die Neutralität des Staates besteht doch bei uns schon seit 200 Jahren."

Auch Friedmann beschrieb, welche Ängste ihn selbst beschäftigen, und zitierte eine Äußerung des Vorsitzenden der Islamischen Gemeinschaft in Deutschland IGD e.V., Ibrahim F. El-Zayat: „Mit der Hilfe Allahs, werden wir Deutschland zu unserem Paradies auf der Erde machen." Friedman dazu an Montag gewandt: „Mir macht so was Angst, Millionen Nicht-Muslimen auch. Ihnen nicht?" Montag wies diesen Einwand ebenso wie die Vorstellungen von El-Zayat selbst zurück. Sie seien nur eine Interpretation von sehr vielen, unterschiedlichen Auffassungen unter den Muslimen. Geis hielt dem entgegen, daß es aber den gemeinsamen Koran gebe, der die Ausbreitung des Islam vorschreibe und daher zu verständlichen Sorgen führe.

Unterschiedliche Sichtweisen wurden auch an der Frage von Friedman erkennbar, ob muslimische Bauwerke zu befürworten seien. Geis betonte, er sei nicht gegen muslimische Bauwerke, auch die Höhe eines Minarettes sei für ihn nicht so wichtig, aber er könne verstehen, wenn Menschen bei uns darauf bestünden, daß solche Bauten in die kulturell geprägte Architektur einer Stadt passen müssten und sie nicht einverstanden seien, wenn eine Moschee mitten hinein in einen anders gewachsenen Stadtkern gebaut werden soll. Jerzy Montag widersprach ihm: "Wieso eigentlich nicht?". Es sei selbstverständlich, dass wir schon immer avantgardistische Bauten gehabt hätten. Montag: "Es gibt Moscheen, und ich wünsche mir solche, die in Stadtkernen avantgardistisch gebaut werden".

Friedman stellte zum Bau von Minaretten ferner die Frage, ob Erdogan recht habe, mit dem Vorwurf, das Minarett-Verbot sei "rassistisch" und "faschistisch". Ohne zu zögern, erwiderte Geis: "Nein. Erdogan hat auch vor Jahren gesagt, die Minarette sind unsere Lanzen, mit denen wir gegen die Ungläubigen vorgehen, und ist dafür verurteilt worden. Also ich glaube, er übertreibt. Ich bin nicht der Auffassung, daß wir Deutschen vor den Türken Angst haben müssen und die Türken vor uns Angst haben müssen. Entscheidend ist, daß wir uns verstehen, und daß die Deutschen akzeptieren, daß wir vier Millionen Muslime bei uns haben." Auch Montag äußerte sich zur Frage, ob die Deutschen rassistisch seien: "Es gibt 15 Prozent, die antisemitisch sind und es gibt 15 bis 20 Prozent, die eine Heidenangst und Abwehr gegenüber allem Fremdem haben. Ob man das jetzt Rassismus nennen will? Man muß mit den Begriffen etwas vorsichtig sein, aber daß wir so etwas haben, ist doch richtig."

Friedman bohrte zum Minaretten-Bau nach, warum dies ein Problem sein sollte. Geis meinte, worum es wirklich gehe, sei, daß die Muslime die Auffassung vertreten würden, sie hätten eine Religion, die ihnen den Auftrag gebe, die ganze Welt zum Haus des Islam zu machen. Das mache Menschen Angst. Geis bekräftigte, daß er zwar keine Angst vor Muslimen habe, machte aber klar, was von den Muslimen erwartet werden müsse: „Ich glaube nicht, daß wir Sorge haben müssen, daß sich Muslime bei uns ausbreiten, aber: Sie sollen unsere Gesetze beachten, sie sollen unsere Kultur respektieren und sollen unsere Sprache sprechen", so Geis.

In der Frage eines EU-Beitrittes der Türkei waren sich Geis und Montag einig: Die Türkei sei heute noch nicht EU-tauglich, meinte Montag. Man müsse ihr jedoch eine Perspektive geben. Die EU sei kein christliches Projekt, sondern ein Projekt des Friedens, der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit. Wenn dies erfüllt sei, würde er sich freuen, wenn die Türkei künftig zur EU gehören würde. Geis machte seine Vorbehalte am Beispiel der Religionsfreiheit deutlich. So lange es in der Türkei keine Religionsfreiheit gebe und dort keine Kirchen gebaut werden dürften, könne man mit der Türkei keine gemeinsame Sache machen.

Am Ende des Gespräches unterstrich Montag, daß er vor einer Islamisierung keine Angst habe: „Mir ist es recht, wenn sich die Muslime hier ausbreiten. Wenn sie jung sind, ist es mir noch lieber. Und sie sollen Kinder bekommen."

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Jerzy Montag ist rechtspolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/DIE GRÜNEN. Weitere Information: www.jerzy-montag.de

Norbert Geis ist Mitglied der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und Mitglied im Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages.

Sendebeitrag von N24 in der Videothek -> www.n24.de/news/newsitem_5633321.html


Auch der SWR wird sich mit dem Thema befassen. In der Sendung "2+Leif" werden am 7. Dezember der Politiker der Grünen, Christian Ströbele, und Norbert Geis zu Gast sein. Thema. "Feindbild Islam - woher kommt die Angst vor dem Fremden?"

Sendung am Montag, 07.12.2009, 22.30 bis 22.59 Uhr


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