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Ist Ex-Fernsehpfarrer Jürgen Fliege bald auch Ex-Pfarrer?


08.10.11

Ist Ex-Fernsehpfarrer Jürgen Fliege bald auch Ex-Pfarrer?

(MEDRUM) Im Extremfall könnte der Ex-Fernsehpfarrer Jürgen Fliege bald auch Ex-Pfarrer der Evangelischen Kirche sein. Denn gegen ihn läuft ein kirchliches Disziplinarverfahren.

Wie die Rheinische Landeskirche gegenüber den Medien bestätigt hat, wurde ein Disziplinarverfahren gegen Jürgen Fliege eingeleitet. Über das Verfahren selbst muss die Kirche schweigen. Es geht um Personalangelegenheiten und mögliche Verfehlungen. Diese sind vertraulich. Falls Verfehlungen geahndet werden, könnte dies mit einem Verweis oder einer Geldbuße geschehen. Im schlimmsten Fall droht Jürgen Fliege sogar ein Rauswurf aus der Evangelischen Kirche. Doch soweit ist es noch lange nicht. Nur gravierende Verstöße gegen seine Pflichten als Pfarrer könnten eine solche Maßnahme rechtfertigen. Und die geübte Toleranz scheint in der Evangelischen Kirche besonders groß zu sein. Ob der Verkauf der Fliege-Essenz (MEDRUM berichtete) oder die Veranstaltung von Kongressen mit Schamanen und Geistheilern, die als Esoterik-Veranstaltungen ins Gerede gekommen sind, für drastische Strafen ausreichen, bleibt abzuwarten. Auch flapsig erscheinende Bemerkungen zu einem Brautpaar ("Gott und die Kirche sind erstmal unwichtig, es kommt auf die Seele an."), über die die Medien berichten, scheinen allenfalls ausreichend, um Fliege mit dem Zeigefinger zu drohen, vielleicht auch einen Verweis zu erteilen.

Außerdem müsste wohl bedacht werden: Jürgen Fliege ist längst nicht der einzige Pfarrer, der Dinge tut, an denen bekenntnistreue Protestanten und Kirchenobere Anstoß nehmen können. Auch in der Kirche sollte gelten: Vor dem (Kirchen-)Gesetz ist jeder gleich. Prominentestes Beispiel für einen Vergleich von wenig Vorbildhaftem ist die Ex-Bischöfin Margot Käßmann. Sie fuhr Anfang 2010 nach übermäßigem Alkoholgenuß (mehr als 1,5 Promille) im Zustand der absoluten Fahruntüchtigkeit durch Hannovers Straßen und beging damit sogar eine Straftat. Von einem Disziplinarverfahren gegen Käßmann wurde nichts bekannt, obgleich ihre Verfehlung, deren Tragweite in der Gefährdung des Lebens anderer Menschen im Straßenverkehr lag, schwerer wiegen dürfte als der Verkauf eines harmlosen, gesegneten Wässerchens, das in gutgläubigen Menschen freiwillige und dankbare Abnehmer findet, ganz ohne jede Gefahr für ihre Gesundheit oder Leben. Auch in Sachen flapsige Sprüche steht Käßmann ihrem prominenten Pfarrerkollegen nicht nach. Sie bezeichnete in einer Predigt in München während des Kirchentages (im Beisein von Kardinal Marx) die Kinderverhinderungspille als ein Geschenk Gottes. Was für eine "Sehnsucht nach Leben" (wie sie einen ihrer Bestseller genannt hat) meint diese Frau also? Ebenso wenig vorbildhafter war ihre Lebensführung. Sie ließ scheiden, was Gott zusammengeführt hatte und blieb dennoch als geschiedene Bischöfin im Amt. Käßmann schneidet also im Vergleich mit dem ebenfalls geschiedenen Pastor Fliege auch in diesem Punkt nicht besser ab. Und schließlich steht Käßmann dem Ex-Fernsehpfarrer in der medial wirksamen Geschäftstüchtigkeit kaum nach. Sie wußte den Rummel um ihre Person geschickt zu nutzen und brachte flugseilig nach ihrem so genannten knapp drei Monate währenden Rückzug aus der Öffentlichkeit rechtzeitig zum Kirchentag 2010 in München ein Buch auf den Markt, das sich rasch als Bestseller verkaufen ließ. Doch statt disziplinar gemaßregelt zu werden, avancierte Käßmann zum Popstar des Kirchentages, zur gefragten Gastprofessorin und schließlich sogar zur Luther-Botschafterin der EKD für das Jubiläumsjahr 2017.

Wer will nun glaubwürdig gegen Fliege drakonische Maßnahmen ergreifen? Würde sich dann nicht auch die Frage stellen, ob in der EKD mit zweierlei Maß gemessen wird? Die Frankfurter Rundschau bezeichnet Fliege als Schein-Heiligen. Ist er also schein-heiliger als Käßmann oder ist es bei ihm nur opportuner und leichter, disziplinarisch einzuschreiten, weil ihm ein ergebenes Netzwerk in der Spitze der EKD und seiner Landeskirche fehlt? Auch kann alternativ gefragt werden: Hätte Jürgen Fliege nicht als Pendant an der Seite von Margot Käßmann als Luther-Botschafter in Szene gesetzt werden können? Käßmann und Fliege als Luther-Botschafter-Traumpaar! Wäre das nicht ideal für die mediale Vermarktung der Evangelischen Kirche in Deutschland? Haben nicht beide das dazu nötige Talent und Charisma? Das Einzige, was Jürgen Fliege vielleicht hätte tun müssen: Er müsste - wie Käßmann - öffentlich zu seinen Schwächen stehen. Vielleicht wäre auch er dann als Preisträger eines europäischen Preises für Zivilcourage auserkoren worden. Doch auf dem Gebiet der Reue tut sich Fliege erkennbar schwerer. Zwar hat er den Verkauf seiner Essenz gestoppt, meint aber unverändert, auch die Kirche ließe sich für ihre Dienste bezahlen. Nicht zuletzt unterstreicht Fliege seine Meinung sogar mit dem Hinweis auf die Mahnung von Papst Benedikt an die Katholische Kirche in Deutschland, nicht zu verweltlichen. Bis zur "reuigen" Einsicht dürfte es also bei Fliege noch eine Weile dauern, falls er überhaupt etwas bereuen will. Vielleicht ist es das, was am Ende disziplinar geahndet wird.

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09.08.11 MEDRUM Präses Schneider nicht bei Jürgen Flieges Wörishofener "Heiler-Tagen"

In den Medien:

07.10.11 Bild Fliegt Pastor Fliege jetzt aus der Kirche?
07.10.11 Frankfurter Rundschau Ex-Fernsehpfarrer Jürgen Fliege - Der Schein-Heilige
07.10.11 Süddeutsche Zeitung Jürgen Fliege steht unter Esoterik-Verdacht
07.10.11 evangelisch.de "Wo ist das Problem?" - Jürgen Fliege zum Disziplinarverfahren
07.10.11 Stern Kirche leitet Verfahren gegen Jürgen Fliege ein
07.10.11 Rheinische Post Disziplinarverfahren gegen Pfarrer Fliege

Leserbriefe

Mich verwundert in der ev. Kirche gar nichts mehr! Gerade die werden hochge- und bejubelt, die sich "menschlich" benehmen und die sich ungeistlich äußern. Wer nimmt denn Anstoss an einem Bischof, der weder an die Jungfrauengeburt noch an das stellvertrende Opfer Jesu glaubt? Das sind die beliebten Geistlichen, die die Bibel "entkernen" und mit dem alten Spruch des Teufels "Sollte Gott gesagt haben . . ." zu Markte ziehen. Die Frohe Botschaft lautet heute: Dein (der jedes Menschen) Wille geschehe! Doch es ist dem Menschen bestimmt, einmal zu sterben, und danach das Gericht!