31.10.08
„Getauft - Verstoßen - Deportiert"
Ausstellung gegen das Vergessen zum 70. Jahrestag der Reichspogromnacht
(MEDRUM) Unter dem Titel „Getauft - Verstoßen - Deportiert" präsentiert die St. Thomas-Gemeinde in Berlin-Kreuzberg eine Ausstellung, mit der an die barbarischen Geschehnisse unter dem Nazi-Regime in der Reichspogromnacht vom 8. auf den 9. November 1938 erinnert werden soll.
Der 9. November ist ein Datum, das wie kaum ein anderes mit schicksalhaften Ereignissen der deutschen Geschichte verbunden ist. Es markiert die friedliche Revolution der Deutschen in der ehemaligen DDR mit dem Tag des Mauerfalls an der ehemaligen innerdeutschen Grenze zur DDR, es markiert aber auch den Ausbruch des Hasses und der kriminellen Gewalt des nationalsozialistischen Regimes in der Reichsprogromnacht gegen die jüdischen Mitbürger in Deutschland im Jahr 1938. Ein Befehl der SA-Stelle Nordsee vom 8. November 1938 an untergeordnete Stellen dokumentiert die schrecklichen Geschehnisse dieser Tage, an denen nicht nur zahllose Synagogen, Geschäfte und Häuser von Menschen jüdischer Absammung in Brand gesteckt wurden, sondern auch mehrere hundert Menschen dahingemordet wurden:
„Sämtliche jüdische Geschäfte sind sofort von SA-Männern in Uniform zu zerstören. Nach der Zerstörung hat eine SA-Wache aufzuziehen, die dafür zu sorgen hat, dass keinerlei Wertgegenstände entwendet werden können. [...] Die Presse ist heranzuziehen. Jüdische Synagogen sind sofort in Brand zu stecken, jüdische Symbole sind sicherzustellen. Die Feuerwehr darf nicht eingreifen. Es sind nur Wohnhäuser arischer Deutscher zu schützen, allerdings müssen die Juden raus, da Arier in den nächsten Tagen dort einziehen werden. [...] Der Führer wünscht, dass die Polizei nicht eingreift. Sämtliche Juden sind zu entwaffnen. Bei Widerstand sofort über den Haufen schießen. An den zerstörten jüdischen Geschäften, Synagogen usw. sind Schilder anzubringen, mit etwa folgendem Text: 'Rache für Mord an vom Rath. Tod dem internationalen Judentum. Keine Verständigung mit Völkern, die judenhörig sind.' Dies kann auch erweitert werden auf die Freimaurerei.“
Gegen das Vergessen
Gegen das Vergessen der schrecklichen Geschehnisse wird die evangelische St. Thomas-Gemeinde in Berlin-Kreuzberg - beginnend am 8.11.2008 - in der St. Thomas-Kirche am Mariannenplatz erstmalig eine Ausstellung zum Schicksal evangelischer Christen jüdischer Abstammung während des Nationalsozialismus zeigen. Sie ist das Ergebnis monatelanger Recherchen zu den Lebensgeschichten von Mitgliedern der eigenen, aber auch anderer evangelischer Gemeinden.
Angestoßen durch die Geschichte ihres ehemaligen Pfarrers Dr. Willy Oelsner, der - nach den Nürnberger Gesetzen Volljude - im Januar 1939 noch nach England emigrieren konnte, werden erschütternde Lebensgeschichten von Menschen erzählt. Die Ausstellung fragt nach dem Leben von Christinnen und Christen mit jüdischen Eltern oder Großeltern, die verfolgt, deportiert und im tragischsten Falle umgebracht wurden. Ihr Schicksal wurde damals und auch nach Ende des Krieges in den evangelischen Gemeinden meist verschwiegen. Ihrer soll gedacht werden in der Hoffnung und in der Zuversicht, dass sich Ähnliches nicht wiederholt.
Eröffnung durch Bischof Wolfgang Huber
Eröffnet wird die Ausstellung „getauft - verstoßen - deportiert" am Samstag, den 8. November 2008, um 11 Uhr in der St. Thomas-Kirche durch den Schirmherrn Dr. Wolfgang Huber, Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO). Neben dem Initiator der Ausstellung und Pfarrer der St. Thomas Gemeinde, Christian Müller, reden Benno Bleiberg, stellvertretender Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde in Berlin, Walter Sylten, betroffen durch die Ermordung seines Vaters und Mitglied des Vorstandes der Evangelischen Hilfsstelle für ehemals Rasseverfolgte, und die Kuratorin der Ausstellung, Christine Zahn. Die Ansprachen werden von dem Kantor der St. Thomas Gemeinde, Manfred Maibauer, musikalisch umrahmt.
Die Ausstellung in der St. Thomas-Kirche am Mariannenplatz ist vom 8.11.-3.12.2008 täglich von 11-17 Uhr geöffnet. Zu der Ausstellung wird es ein Begleitprogramm mit Konzert, Vorträgen und Filmvorführungen geben. Einer der Höhepunkt des Begleitprogrammes wird das Konzert "Musikalischer Religionsdialog" sein, bei dem hebräische, christlich-orthodoxe, Koranrezitationen und religiöse Volksmusik erklingen werden. Den Abschluss der Ausstellung wird ein Gespräch mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen bilden.
Die Ausstellung richtet sich insbesondere an Jugendliche und Schulklassen. Auf Anfrage ist eine Führung für Schulklassen und Interessierte möglich.
Der Eintritt ist kostenlos.
Information über Begleitveranstaltungen in St. Thomas: -> Veranstaltungen
Über die St. Thomas-Gemeinde
Die St. Thomas-Gemeinde am Mariannenplatz wurde 1864 im Rahmen der Stadterweiterung Berlins gegründet. Bei der Gestaltung des Mariannenplatzes erhielt die St. Thomas-Kirche zusammen mit dem Diakonissenkrankenhaus Bethanien eine zentrale Stelle. Gebaut vom Magistrat der Stadt Berlin war sie bei der Einweihung 1869 die größte Kirche Berlins und hatte Platz für 3.000 Menschen. Theodor Fontane erwähnt sie des Öfteren in seinen Erinnerungen.
1955 beschloss die Berlin-Brandenburgische Landeskirche die Wiederherstellung der im 2.Weltkrieg zerstörten St. Thomas Kirche, die sich bis 1963 hinzog. 1961 wurde die St. Thomas-Gemeinde durch den Bau der Berliner Mauer geteilt und lag nun am äußersten Ende Kreuzbergs unmittelbar an der Grenze. Seit dem Fall der Mauer gibt es zunehmend Kontakte in das „alte Gemeindegebiet", das bis zur Jannowitzbrücke reicht. Die Gemeinde hofft auf eine Wiedervereinigung im nächsten Jahr - 20 Jahre nach dem Mauerfall.
Bekannt wurden Gemeinde und Kirche während der achtziger Jahre im Rahmen ihres konstruktiven Engagements bei den Konflikten um die Hausbesetzungen.
Seit der Wiedereröffnung der Kirche im Jahre 1998, nach umfangreicher Sanierung, versucht die Gemeinde, die St. Thomas-Kirche durch vielfältige Aktivitäten wieder in das Bewusstsein der Berliner Bevölkerung zu bringen.
Weitere Informationen unter: www.stthomas-berlin.de
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