09.09.10
Gespaltene Geister spalten die Freiheit
Merkel preist den Mut zur Meinungsfreiheit und erntet von der Linkspartei den Vorwurf des Rassismus
von Kurt J. Heinz
(MEDRUM) Bundeskanzlerin Angela Merkel hat am Mittwoch bei der Verleihung des "M100-Sanssouci Medien Preises" an den dänischen Karikaturisten Kurt Westergaard beim Sanssouci Colloquium für sein unbeugsames Eintreten für die Presse- und Meinungsfreiheit und für seinen Mut, zu diesen demokratischen Werten zu stehen, geehrt. Es hätte ebenso gut eine Rede auf Thilo Sarrazin sein können, wenn ...
... wenn Angela Merkel den Ex-Finanzsenator Thilo Sarrazin wegen seines Mutes, seine Erkenntnisse über Integrationsdefizite von Migranten zu veröffentlichen, nicht als Spalter der Gesellschaft verurteilt hätte.
Wie muß Thilo Sarrazin empfunden haben, wenn er die Laudation von Angela Merkel auf Westergaard gehört hat? Vermutlich sind ihm dann zwiespältige Gedanken durch den Kopf gegangen. Unbeugsames Eintreten für die Presse- und Meinungsfreiheit und Mut, für demokratische Werte zu stehen, sind Eigenschaften, die nicht nur Sarrazin in seiner Person orten kann. Auch viele Bürger meinen, Sarrazin komme das wichtige Verdienst zu, Tabu-Themen, die die Bürger bedrücken, mutig angesprochen zu haben.
Hätte Angela Merkel Thilo Sarrazin für die Veröffentlichung seines mutigen Buches "Deutschland schafft sich ab" nicht gerügt, hätte sie dieselbe Lobesrede auch auf den Ex-Finanzminister von Berlin halten können. Doch Thilo Sarrazin wird eine solche Kanzler-Rede wohl zeitlebens nicht hören. Das, was Angela Merkel in ihrer Rede über sich selbst sagte, nämlich daß die Freiheit für sie persönlich die "glücklichste Erfahrung ihres Lebens" sei, dürfte Sarrazin mit gemischten Gefühlen hören. Wiederholt hat er harte Prügel für seinen Mut zur freien Rede einstecken müssen, weil er über unbequeme Wahrheiten gesprochen hat. Ein Ausschluß aus der SPD drohte ihm bereits 2009. Wer könnte besser als Thilo Sarrazin nachvollziehen, wie wichtig der Satz "Niemals dürfen wir dieses hohe Gut als selbstverständlich ansehen" von Angela Merkel ist. Es ist paradox, daß es ein und dieselbe Person ist, die innerhalb weniger Tage den Mut zur freien Meinungsäußerung zugleich tadelt und adelt. Diese Gespaltenheit müsste nicht nur Thilo Sarrazin schmerzen. Er hat genau jenen Mut aufgebracht, den die Bundeskanzlerin bei der Laudation von Westergaard jetzt adelte.
Doch die Strafe für die Kanzlerin folgte sprichwörtlich auf den Fuß. Ihrem Beispiel folgte DIE LINKE. Sie verdammt jetzt nicht mehr nur Sarrazins Worte, sondern auch die der Bundeskanzlerin, weil sich Merkel - anders als bei Sarrazin - beim Preisträger Westergaard nun erlaubte, seinen Mut zur freien Meinungsäußerung mit wohl gesetzten Worten zu loben. Aber: Für Westergaard gilt wie für Sarrazin das "Freiheitsmaß" der LINKEN, das weder statistische noch karikierende Aussagen duldet, die den Islam kritisch beleuchten. Dieses Maß der LINKEN gilt für alle, also auch für die Kanzlerin. Nach dem Verständnis der LINKEN ist im Zweifelsfalls frei, was LINKS ist. Als "gezielte Provokation" bewertet daher Christine Buchholz, Mitglied des Geschäftsführenden Parteivorstands der LINKEN, die Rede von Bundeskanzlerin Angela Merkel bei der Preisverleihung an Westergaard und erklärte: "Angela Merkels demonstrative Unterstützung von Westergaard ist ein Affront gegen Muslime. Sie springt damit auf den islamfeindlichen Zug von Thilo Sarrazin auf." Plötzlich sieht sich Angela Merkel, die bei ihrer Sarrazin-Schelte noch auf dem prächtigen Kreuzer für politisch Korrekte mitfuhr, über Bord geworfen, weil sie jetzt lobte, was angeblich den Islam pauschal verurteile: Die Freiheit. Denn, so DIE LINKE, Westergaard habe mit seinen Karikaturen den Islam als terroristisch und reaktionär verunglimpft, da höre die Pressefreiheit auf und fange Rassimus an.
"Was nun also?", könnte der geächtete Sarrazin die gescholtene Kanzlerin fragen. "Was, wenn Westergaard Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank gewesen wäre", könnte der erstaunte Beobachter frage. Wäre Westergaard dann als mutiger Kämpfer für die Freiheit oder als nicht tragbare Person für die Bundesbank in die Annalen bundesdeutschen Zeitgeschehens eingegangen?
Wer vom Recht der freien Meinungsäußerung Gebrauch macht, scheint sich auf einem beängstigend schmalen Grat zu bewegen, wie der Streit um Sarrazin und Westergaard zeigt. Denn Spalter der Freiheit gibt es überall: Freiheit für meine, aber nicht für Deine Gedanken. Es ist nicht so, wie Angela Merkel feststellte, daß Thilo Sarrazin die Gesellschaft spaltet, sondern: Gespaltene Geister spalten die Freiheit - und auch die Gesellschaft. Das erfährt Angela Merkel am eigenen Leibe. Doch über ihre Abberufung entscheiden weder Bundesbank noch Bundespräsident noch DIE LINKE, sondern der wirkliche Souverän: die Wählerinnen und Wähler in geheimer, und darum wirklich freier Entscheidung.
Merkel: "Sarrazin spaltet die Gesellschaft"
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Leserbriefe
Zweierlei Maß?
Es ist schon interessant, wie innerhalb eines Zeitraumes von ein paar Tagen solch ambivalente Äußerungen zu einem bestimmten Thema aus dem Mund ein und derselben Person - unserer Bundeskanzlerin - kommen können. Da wird ein unbescholtener, verdienter Bürger unseres Landes noch vor dem Erscheinen für sein Buch verurteilt, mit dem er Fakten und Tatsachen zum Thema Integration in Deutschland veröffentlicht. Ein paar Tage später wird ein Karikaturist gelobt und mit eine Preis für Pressefreiheit bedacht, der damals mit seinen Mohammedkarrikaturen für weltweiten Wirbel gesorgt hat. Wird hier mit zweierlei Maß gemessen?
"Das Geheimnis der Freiheit ist Mut", so lobte Frau Merkel in ihrer Rede zur Ehrung von Kurt Westergaard, der für sein Eintreten für die Presse- und damit auch der Meinungsfreiheit belohnt wurde. Ist es weniger mutig, wenn Thilo Sarrazin ein Thema aufgreift und Fakten vorlegt, vor denen sich das statistische Bundesamt fürchtet, sie zu veröffentlichen, weil vielleicht jemand dadurch verärgert werden könnte? Ich möchte hier nicht für die Thesen von Herr Sarrazin eine Lanze brechen. Es geht mir darum, ein hohes Gut und eine wichtige Grundlage unserer Demokratie zu verteidigen: Das Recht auf freie Meinungsäusserung.
Anscheinend gibt es zumindest genügend Leute in der Bevölkerung, die Sarrazins Bedenken teilen. Die Bedenken der Bevölkerung werden von der "politischen Klasse", wie sie sich inzwischen selbst nennt, aber anscheinend schon lange nicht mehr ernst genommen. Als gebürtiger Schweizer bin ich sehr überrascht, um nicht von "fremdschämen" sprechen zu müssen, mit welchen Argumenten bspw. von den Politikern in Deutschland gegen Volksentscheide argumentiert wird. Da werden schon beinahe die Bürger dieses Landes beleidigt, in dem ihnen die nötige Urteilskraft und unausgesprochen dadurch auch die Intelligenz abgesprochen wird, nützliche politische Entscheidungen zu fällen.
So will man halt unbequeme Stimmen zum Schweigen bringen. Frau Merkel betont zwar, im Fall Sarrazin gehe es nicht um die Meinungsfreiheit, sondern darum, ob und welche Folgen ein Buch für einen Autor in einer wichtigen öffentlich-rechtlichen Institution haben kann. Doch ist das wirklich so? Wird nicht vielmehr durch die Häme und Verurteilung, ja sogar den drohenden Rauswurf Sarrazins, mit machtpolitischen Mitteln eine Angst geschürt? Die Meinung frei zu äußern ist zwar erlaubt, aber tu es lieber nicht, es könnte Dich alles kosten.
Ein Mohammedkarrikaturist ist mutig und Thilo Sarrazin ein Volksverhetzer. Hier wird ganz offensichtlich mit zweierlei Maß gemessen. Die Medien tanzen munter zu der Melodie, mit der unsere Politiker das Volk zum betörenden Reigen einladen will. Oder ist es umgekehrt? Wie auch immer, die Bevölkerung in Deutschland wacht langsam auf und merkt, dass die "Volksvertreter" sehr oft ihrer Bezeichnung keine Ehre machen.
Mein Blog "Seven Mountains"