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Ex-NATO-General Harald Kujat: "Nehmen wir Putin beim Wort"


05.09.14

Ex-NATO-General Harald Kujat: "Nehmen wir Putin beim Wort"

Gäste bei Maybrit Illner diskutierten über den Umgang mit dem Konflikt in der Ukraine

(MEDRUM) In der gestrigen Gesprächsrunde von Maybrit Illner sprach sich der Ex-NATO-General Harald Kujat dafür aus, nicht zu spekulieren und Vorschläge Putins zur politischen Lösung der Krise nicht vorschnell abzulehnen, sondern sie beim Wort zu nehmen und zum Gegenstand von Verhandlungen zu machen.

Kujat plädierte in der ZDF-Sendung "Putins neues Russland – Europa am Rande des Krieges?" am Donnerstagabend dafür, vorsichtig mit Information umzugehen und sorgfältig abzuwägen, um nicht zu falschen Einschätzungen zu kommen und Wege aus der Krise zu verbauen. Kujat wörtlich:

"Wir hören sehr viel Spekulation. Auch was die Frage der Aggression betrifft. Natürlich unterstützt Russland die Separatisten. Das ist ja überhaupt nicht zu leugnen. - Ein Beweis dafür, dass Russland mit regulären Streitkräften interveniert hat, habe ich noch nicht gesehen. ... Ich habe Zweifel. Es ist nicht nur so, dass wir vorsichtig sein müssen, mit dem, was Russland sagt, wir müssen auch sehr vorsichtig sein mit dem, was die Ukraine sagt, und leider Gottes, muss ich auch sagen, wir müssen auch vorsichtig sein, mit dem, was der Westen sagt. ...

Wir müssen doch in einer solchen Situation abwägen, vorsichtig sein. Wir müssen uns doch darüber im Klaren sein, dass eine Lösung, und zwar eine politische Lösung, nur mit Putin erreicht werden kann, und nicht gegen Putin. ... Ich will jetzt Russland nicht verteidigen, ... ich bin nur dafür, dass wir mit uns selbst ehrlich umgehen, dass wir uns selbst nichts vormachen, sonst kommen wir nämlich zu einer völlig falschen Einschätzung der Lage und das hilft nicht, zu einer Lösung zu kommen. ...

Das eine ist die Lösung des Konfliktes in der Ukraine. Da muss es einen politischen Fahrplan geben, der für alle Seiten klar macht, wohin es führt, wie die politische Lösung aussieht. Das kann beginnen morgen mit dem Waffenstillstand. Das ist nämlich die Voraussetzung dafür, vor allen Dingen, wenn er sorgsam überwacht wird von einer neutralen Instanz, der OSZE oder wem auch immer. Insofern muss man sagen: Nehmen wir Putin beim Wort jetzt und reden wir mit ihm darüber. Und wenn es notwendig ist, aus unserer Sicht, diese sieben Punkte zu verändern, na gut, dann muss man darüber reden. Aber man darf nicht einfach sagen, wir werden hier wieder von Putin taktisch ausgetrickst."

Große Übereinstimmung in der Runde gab es insbesondere zwischen Kujat und dem Präsidenten des Europäischen Parlamentes, Martin Schulz, vor allem hinsichtlicher schädlicher, scharfer Rhetorik und nüchternem, sachlichem Dialog. Schulz dazu:

"Ich würde mir aber wünschen, dass hohe Repräsentanten der Bundesrepublik Deutschland das tun, was zum Beispiel Herr Kujat hier heute Abend gemacht hat: kritische Fragen zu stellen, bevor man zu schnellen Schlussfolgerungen kommt. ... Ich würde mir nebenbei wünschen, der Generalsekretär der NATO würde einmal so reden wie Sie hier heute Abend geredet haben, Herr Kujat. ...

Ich bin, was die Rhetorik angeht, folgender Auffassung: Wer will, dass man Konfrontation vermeidet, der darf auch nicht verbal aufrüsten. Und deshalb ist auch die Sprache verräterisch. Ich würde mir wünschen, wir würden so reden, dass wir Kritik üben, ziemlich offen, aber dass wir immer die Tür offen lassen für den Dialog. ... Rhetorische Aufrüstung ist genau das Gegenteil von dem, was wir brauchen. ...

Man kann darüber diskutieren, welche Motive die Russen haben, ob die im Recht sind oder im Unrecht, ob die Ukrainer im Recht sind oder im Unrecht. Aber eins ist klar: Die Russische Föderation hat die Ukraine anerkannt als Staat. Und wenn man jetzt mal schnell hingeht und sagt, wir verschieben mal jetzt und zwar einseitig wieder Grenzen, dann kann man das nicht hinnehmen. ... Ich bin gegen jede militärische Auseinandersetzung, weil die wirklich vermieden werden muss, aber man darf der russischen Regierung auch nicht durchgehen lassen, dass sie mit anderen Staaten spielt, auch mit uns spielt.

Mit Blick auf Verletzung des Prinzips der territorialen Integrität hielt Schulz wirksame Sanktionen für wichtig und meinte, da müsste die Europäische Union vielleicht sogar noch "eine Schaufel" drauflegen. Zugleich sprach er sich jedoch für die Deeskalation des Konfliktes in der Ukraine mit den Worten aus:

... Ich hoffe, wir haben ab morgen eine Plattform zur Deeskalation. Das würde ich mir von Herzen wünschen."

Video der Sendung in der Mediathek des ZDF: www.zdf.de/ZDFmediathek/kanaluebersicht/414#/beitrag/video/2232128/Putins-neues-Russland

Waffenruhe vereinbart

Um 15.30 Uhr des heutigen Nachmittages meldete die Tagessschau:

"Die prorussischen Rebellen und die ukrainische Regierung haben der Nachrichtenagentur Interfax zufolge in Minsk eine Vereinbarung über den Beginn einer Waffenruhe am Freitag unterzeichnet. Es handelt sich um die erste von beiden Seiten vereinbarte Waffenruhe. Sie soll von 18.00 Uhr Ortszeit (17.00 Uhr MESZ) an gelten."

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Das Video der gestrigen Sendung enthält auch eine Einspielung als zeitgeschichtliches Dokument von besonderer Bedeutung. Zur Verdeutlichung unterschiedlicher Wahrnehmungen auf westlicher und russischer Seite zeigte Maybrit Illner die ehemalige Zusage von Außenminister Hans-Dietrich Genscher vor der Wiedervereinigung 1990, die dokumentiert, dass das NATO-Vertragsgebiet ursprünglich nicht nach Osten ausgedehnt werden sollte (Bild links).

Später wurden dennoch eine Reihe weiterer Staaten Ost- und Südosteuropas in die NATO aufgenommen:

Polen, Tschechien, Ungarn,  Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Rumänien, Slowakei,  Slowenien, Albanien, Kroatien.

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Leserbriefe

Was bringt denn der Schuldenstaat Ukraine für die EU? Hier wurde doch, auch vom Westen, ein Putsch angeheizt. Woher der Wind weht wurde mir klar, als ich hörte, dass sich die US Firmen Exxon und Chevron bereits für ukrainisches Öl interessieren. Putin dürfte sich bedrängt fühlen und sich ebenso verhalten, wie die Amerikaner in vergleichbaren Fällen, wenn in ihrer Nähe etwas geschieht, was ihnen missfallen muss. Putin jetzt als Aggressor hinzustellen, der angeblich seine Nachbarländer annektieren will und sich in entsprechender Kriegsrhetorik zu üben, ist ein starkes Stück. Und unsere Politiker: Sind sie wirklich so naiv oder müssen sie nur so tun?

Ja, der alte Dietrich. Wie gut, daß der noch lebt und sagen kann, was damals ge- und versprochen wurde. Es ist doch so: Der Westen hat damals einem kranken Mann, der darniederlag wie ein obdachloser Bettler, Sicherheit versprochen, ihm aber dann des nachts den Ring vom Finger gezogen. Der Totgeglaubte ist aber genesen und hat sich nun seinen Ring wiedergeholt. Und wir? Sollten wir nicht Friedensstifter sein? Nein, wir Trottel (ich meine unsere Regierenden) folgen brav dem Rattenfänger aus Washington...

Wie vorgestern im DLF ein Ostexperte zu hören war, gibt es auf der politische Ebene in Deutschland kaum jemand, der sich mit Russland wirklich auskennt. Keine Grundlage, um vernünftige Entscheidungen zu treffen und vor allem, Putin gegenüber einen vertrauenswürdigen Gesprächspartner anzubieten. Gleichzeitig haben wir in den Medien eine ziemlich einseitige Sichtweise und eine massive Agitation gegen Putin. Man hat ihn schon zur Olympiade als Buhmann ausgeguckt und später dann, als man ihn als Verhandlungspartner für die Ukraine brauchte, war schon einiges an Porzellan zerdeppert. Während Europa eigentlich nur noch auf der wirtschaftlichen Ebene zu handeln versteht haben wir es im Osten mit ganz anderen politischen und mentalen Inhalten zu tun. Erschreckend ist für mich vor allem, aus welcher Distanz die EU ihre Entscheidungen trifft, als wolle man das trotziges Kind Russland umerziehen. Eine gefährliche Selbstüberschätzung.