06.08.08
Ein Sieg, den viele als Niederlage sehen und erleben
Dutschkes Doktorvater Furth im FAZ-Interview über die Revolte der 68er
(MEDRUM) Der Doktorvater von Rudi Dutschke ist davon überzeugt: Die Linken haben gewonnen. Das erklärt der Sozialphilosoph Peter Furth im Interview mit der F.A.Z. vom 5. August.
Auf die Frage, ob die Linken siegreich aus 68 hervorgegangen seien, antwortet Furth:
"Ohne Zweifel. Als Kulturrevolution hat 68 gewonnen, ihr Siegespreis ist die politische Korrektheit, die allenthalben zu einer semantischen Politik geführt hat. Nach ihrem Sieg haben sich die Achtundsechziger zurückgelehnt. Sie glaubten, nichts mehr dazulernen zu müssen. Ihr Problemstand kennzeichnet sich durch den inflationären Gebrauch der Vorsilbe Neo, eine Feindbezeichnung, die alles beim Alten lässt; überall Neoliberale und Neokonservative, bezeichnenderweise aber keine Neosozialisten. Die größere Lernchance in der Geschichte haben wohl eher die Verlierer."
So interessant wie diese Antwort ist auch die Antwort auf die Frage, was man noch von 68 lernen könne. Furth betont, dass der Antiautoritarismus, der Grundzug der Revolte, brutal und destruktiv sei. Der Antiautoritarismus habe die vermittelnden Instanzen zwischen dem Individuum und der Gesellschaft - Familie, politische und juristische Institutionen, Traditionen, Ethnien - entwertet und dadurch den Einzelnen unmittelbar und schutzlos den Kräften des Marktes ausgesetzt, in dem nur die Stärksten überleben.
Furth steht heute Ideen, die eine radikale Wende nach der Methode der "tabula rasa" oder "creatio ex nihilo" wollen, und die die Möglichkeit über die Wirklichkeit setzen, skeptisch gegenüber. Er habe im Lauf seines Lebens hinzugelernt und würde heute - entgegen Churchills vielfach zitierter Aufassung - niemandem raten, in der Jugend links zu sein. Dies sei immer anmaßend, sagt Furth am Ende des Interviews.
Das F.A.Z.-Interview -> „Die 68er-Revolte hat eine Wächtergeneration hinterlassen"