Verkehr ganz ohne Verkehrszeichen
von Christoph Kohl
„Weg mit den Verkehrsschildern!" Die norddeutsche Gemeinde Bohmte hat alle Verkehrszeichen in ihrem Ortskern abgebaut. Ist das nicht eine verrückte Idee?
Es gab zwar schon vergebliche Versuche, den deutschen Schilderwald zu lichten. Aber immer war klar: Ohne Verkehrszeichen würde es drunter und drüber gehen. Das sehen die 14.000 Einwohner von Bohmte anders. Dort gibt es im Ortskern keine Schilder mehr, keine Ampeln, keine Halteverbote, keine Zebrastreifen, keinen Bürgersteig. Alles abgebaut. Der Bürgermeister sagt: „Wir hoffen, dass sich die Eigenverantwortung der Autofahrer, Fußgänger und Radfahrer durchsetzen wird. Wir rechnen damit, dass nach und nach die gesamte Gemeinde vom reglementierten Verkehr befreit werden kann".
Die Leute haben Mut. Denn sie schrauben nicht nur ein paar Schilder ab. Sie stellen unsere Vorstellungen von Verkehr völlig auf den Kopf. Das Übliche ist: Wir fahren nach den Verkehrszeichen. Darin liegt eine Gefahr: Man schaut mehr auf die Schilder als dass man auf die anderen Verkehrsteilnehmer achtet. Schlimmstenfalls fährt man nur nach den Regeln und pocht auf sein Recht. Der Sinn füreinander bleibt auf der Strecke. Genau diese soziale Gesinnung wächst aber, wenn man ganz ohne Verkehrszeichen fährt. Wenn nur noch „rechts vor links" gilt und sonst nichts mehr, dann achten alle aufeinander. Das funktioniert tatsächlich: Untersuchungen haben ergeben, dass die Menschen in einer Stadt ohne Verkehrszeichen sicherer leben und dass der Verkehr noch dazu besser fließt. Es geht offensichtlich ohne -zig Schilder. Es geht sogar besser.
Das wundert mich nicht. Denn entscheidend für ein gutes Zusammenleben ist die innere Haltung. Wenn der Sinn füreinander fehlt, dann nützen alle möglichen Gebote und Verbote nichts. Deshalb fasst Jesus in der Bergpredigt all die vielen Gesetze des Alten Testamentes in einem einzigen Satz zusammen: „Alles, was ihr von den anderen erwartet, das tut auch ihnen!" (Mt 7, 12) Diese Einstellung ist das Entscheidende, damit es uns gut geht miteinander, nicht nur im Straßenverkehr. Wenn die Grundhaltung stimmt, sind die vielen Einzelvorschriften überflüssig. In einer Formulierung des heiligen Bischofs Augustinus klingt dieser Gedanke noch radikaler: „Liebe - und tue, was du willst."
Dr. Christoph Kohl ist Domkapitular im Dom zu Speyer . Der hier präsentierte Text wurde in der Sendung Anstöße im SWR vorgetragen.
Die Gemeinde Bohmte sagt zu ihrem Projekt: "Das entscheidende Merkmal ist, dass Verkehrsschilder, Fussgängerinseln, Ampeln und andere Barrieren nicht mehr nötig sind. Autofahrer fügen sich rücksichtsvoll ins menschliche Miteinander von Fussgängern, Radfahrern und spielenden Kindern ein und werden Teil des gesamten gesellschaftlichen und kulturellen Kontextes."