19.01.10
Aufs falsche Gleis geraten
Zur Neujahrspredigt von Bischöfin Käßmann
Ein Kommentar von Rainer Mayer
(MEDRUM) Leider ist die Auseinandersetzung über die Bemerkung von Frau Bischöfin Käßmann in ihrer Dresdner Neujahrspredigt zum Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr auf ein völlig falsches Gleis geraten.
Nun wird in Öffentlichkeit und Kirche die alte, längst ausdiskutierte Frage nach Krieg, Widerstand, Gewaltanwendung zur Selbstverteidigung oder zum Schutz anderer aufgewärmt. Diese Frage kann aber nur zwischen grundsätzlichem Friedenswillen und konkreter Situationsbeurteilung entschieden werden. Sie lässt sich nicht prinzipiell und abstrakt für alle Zeiten gültig beantworten.
Entscheidend ist daher nicht, was Frau Bischöfin Käßmann zum Afghanistan-Konflikt gesagt hat - es war ohnehin eine sehr allgemein gehaltene Aussage, eine Allerweltsweisheit -, sondern in welchem Zusammenhang sie gesprochen hat. Sie hat ihre persönliche politische Meinung in einer Predigt zum Ausdruck gebracht. Die Aufgabe einer Predigt ist aber gerade nicht die Kundgabe persönlicher Meinungen des Amtsträgers zu irgendwelchen vermutlich allgemein interessierenden Fragen, sondern die Verkündigung des Wortes Gottes! Wer also auf der Kanzel „politisch predigt" gibt damit seiner persönlichen Meinung das Gewicht eines Wortes Gottes und spielt sich zur moralischen Instanz auf. Das ist Anmaßung! Wir müssen endlich wieder lernen, was predigen heißt. Die entscheidende Frage lautet: Hat Frau Bischöfin Käßmann, die die ökumenische Jahreslosung aus Johannes 14,1 auslegen wollte, diesen ersten Vers aus den Abschiedsreden Jesu in seiner Tiefe erschlossen und in Zuspruch und Anspruch für die Hörerschaft glaubensvertiefend fruchtbar gemacht?
Dietrich Bonhoeffer jedenfalls, dem man kaum vorwerfen kann, unpolitisch gewesen zu sein, hat mitten im Kirchenkampf und der Auseinandersetzung mit dem NS-Staat über das rechte Predigen gesagt: „Die 30 Minuten, die der Pfarrer in der Woche hat, um zur Gemeinde zu reden, lassen wahrhaft keine Zeit zu schöngeistigen Dingen oder zur Politik - wozu auch? Wer das will, findet es jederzeit viel besser woanders" (London 1934).
Freilich haben unsere säkularen Massenmedien nur Interesse an Predigtpassagen, die nach ihrer Meinung politisch von Belang sind. Das Geistliche wird geflissentlich verschwiegen. Sollten wir Theologen deshalb das predigen, wonach ihnen „die Ohren jücken", politisch reden und Moralgesetze kundtun, um für die Massenmedien interessant zu sein? Ich denke, nein! Politisch zu reden und Moralgesetze verbindlich zu machen, ist die Aufgabe der Imame in den Moscheen! Wollen wir, dass unsere Bischöfinnen und Bischöfe eine Art von Ajatollahs werden? Wenn nicht, sollten wir uns in Kirche und Öffentlichkeit besinnen! Natürlich kann kirchlicherseits politisch Stellung genommen werden, aber nicht mit der Autorität des Wortes Gottes von der Kanzel herab!
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Dr. Dr. habil. Rainer Mayer ist Professor i.R. für Systematische Theologie und Religionspädagogik an der Universität Mannheim. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören unter anderem in der Systematischen Theologie die Fundamentaltheologie, Wissenschaftstheorie, Hermeneutik, und biblische Theologie sowie in der Ethik / Sozialethik die Geschichte der Ethik, Theorien der Ethik, die Systematische Sozialethik, Dogmatik und Ethik, die biblische Begründung der Ethik und ethische Einzelfragen.
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Leserbriefe
Artikel Dr. Dr. habil. Rainer Mayer
Die Beobachtung ist korrekt. Frau Merkel bestaetigt in ihrer Bewertung der Aesserungen von Frau Kaeszmann in deren Neujahrspredigt als die Meinung eben von Frau Kaeszmann. Unter einer Predigt muss aber ein "Amen" stehen koennen, weil sie Gottes Wort zur Sprache bringen soll und nicht nur die Meinung einer auch noch so bedeutenden Persoenlichkeit. Danke fuer den Artikel!