10.11.09
Tot oder lebendig?
Der Streit eines Gemeindepfarrers im Bistum Augsburg um die Organspende
von Kurt J. Heinz
(MEDRUM) Im Bistum Augsburg brach im Oktober eine Kontroverse um den Gemeindepfarrer der katholischen Pfarreiengemeinschaft Altenmünster-Violau aus. Der Streit entbrannte, weil der Pfarrer die Ablehnung der Organspende im Pfarrblatt verkündete und sich weigerte, seine Gemeinde über die abweichende kirchliche Position in dieser Frage zu informieren. Die Auseinandersetzung führte zum vorzeitigen Ende der Amtszeit des Gemeindepfarrers.
Die Haltung des Gemeindepfarrers
Pfarrer Andreas Hirsch war erst am 26. September 2009 in sein Pfarreramt eingeführt worden. Nach einem Vortrag von Dekan Freihalter über die Organspende, der zuvor am 22. September im Pfarrheim in Altenmünster stattgefunden hatte, gab Pfarrer Hirsch Anfang Oktober einen Pfarrbrief mit einem persönlich verfassten Artikel zur Organspende heraus (Link am Ende). Darin informierte er die Pfarrgemeinde, dass die Organspende grundsätzlich abzulehnen sei. Wie die Müncher tz berichtete (Ausgabe 27.10.09), war es danach zu Protesten in der Pfarrgemeinde gekommen. Das Bistum Augsburg forderte ihn deswegen auf, im nächsten Pfarrgemeindeblatt ebenso die anderslautende offizielle kirchliche Position zu veröffentlichen. Pfarrer Hirsch weigerte sich jedoch, dieser Aufforderung nachzukommen. Er zog es vor, den Verzicht auf sein Amt anzubieten. Das Bistum war allerdings nicht bereit, auf die Darstellung der kirchlichen Position zu verzichten und nahm stattdessen das Angebot des Pfarrers zum Amtsverzicht an.
Im Pfarrbrief hatte Pfarrer Hirsch zur Erklärung von Einverständnissen mit einer Organspende zuvor festgestellt: "Die Leute sollen verstehen, dass sie mit dem Einverständnis zur Organspende Ärzten die Erlaubnis geben, ihr Leben zu beenden. Das entspricht nicht dem Willen Gottes, der allein Herr über Leben und Tod ist."
Der Pfarrer begründete dies mit der Auffassung, erst die Entnahme von Organen töteten den Menschen und dies sei ethisch unannehmbar. Hirsch lehnt es ab, den Hirntod als den Zeitpunkt gelten zu lassen, an dem der Tod des Menschen als Person eingetreten ist. Hinter dieser Auffassung steckt die grundsätzliche Frage, ob ein Mensch, bei dem ein irreversibler Hirntod festgestellt worden ist - in seinem Körper aber noch Lebenszeichen wie Herzschlag, Atmung und Blutdruck aufrechterhalten werden und die übrigen Organe noch funktionieren -, als Verstorbener oder als Sterbender angesehen werden muß. Für Pfarrer Hirsch ist ein solcher Mensch noch nicht tot, sondern verstirbt erst durch die Entnahme lebenswichtiger Organe. "Die Entnahme ist es, die eine lebende Person zu einer toten macht.", stellte Hirsch im Pfarrbrief heraus. Deshalb hält er es mit seinem Gewissen und Glauben für nicht vereinbar, einem für hirntot erklärten Menschen Organe zu entnehmen und dadurch den unmittelbar folgenden Tod des Menschen herbeizuführen. In der Konsequenz würde der Verzicht auf die Spende von lebensnotwendigen Organen, die im menschlichen Körper nur einmal vorhanden sind, bedeuten, dass eine große Zahl von Organtransplantationen nicht vorgenommen werden dürften.
In der Auseinandersetzung um das Für und Wider zur Organspende und den Streit zwischen Bistum und Pfarrer Hirsch ist die anderslautende kirchliche Position von zentraler Bedeutung. Daher wird der Text des Bistums Ausgburg, den Pfarrer Hirsch nicht abdrucken wollte, hier im Original mit Genehmigung des Bistums wiedergegeben. Er wurde von Weihbischof Dr. Dr. Anton Losinger zusammengestellt. Er ist Mitglied des Deutschen Ethikrates.
Die kirchliche Position zur Organspende
von Weihbischof Dr. Dr. Anton Losinger
Die Organspende wird in kirchlichen Einlassungen grundsätzlich bejaht und für gut geheißen. Zu den kleinen und großen Gesten des Teilens, die eine echte Kultur des Lebens fördern, zählt die Enzyklika Evangelium vitae[1] die in ethisch annehmbaren Formen durchgeführte Organspende. Sie erfährt besondere Wertschätzung, da sie Kranken, die bisweilen jeder Hoffnung beraubt sind, die Möglichkeit der Gesundheit oder sogar des Lebens anbietet. In einer Ansprache an die Teilnehmer des internationalen Kongresses zum Thema „Ein Geschenk für das Leben, „Überlegungen zur Organspende“, veranstaltet von der Päpstlichen Akademie für das Leben am 7.11.2008, bezeichnet Papst Benedikt XVI. die Organspende als eine besondere Form des Zeugnisses der Nächstenliebe. Die Organtransplantation ist eine große Errungenschaft der medizinischen Wissenschaft und stellt für viele Menschen, die sich in schwerwiegenden und manchmal extremen klinischen Situationen befinden, ein Zeichen der Hoffnung dar. Der medizinische Fortschritt hätte jedoch ohne die Großherzigkeit und den Altruismus derjenigen, die ihre Organe gespendet haben, nie erreicht werden können.
In seiner Ansprache beim Internationalen Kongress für Organverpflanzung am 29.8.2000 in Rom nennt Papst Johannes Paul II. Grundbedingungen für eine sittlich vertretbare Organübertragung:
An dieser Stelle zeigt sich das Problem der eindeutigen Feststellung des Todes. Den Tod bezeichnet Papst Johannes Paul II. als ein einzigartiges Ereignis. Es besteht in der Auflösung der Einheit und des integrierten Ganzen, die das personale Selbst ausmachen. Der Tod resultiert aus der Trennung des geistigen Lebensprinzips von der leiblichen Wirklichkeit der Person. Die Einheit der Person ist nicht mehr gegeben.
Der anthropologisch bestimmte Tod wird von verschiedenen biologischen Kennzeichen begleitet, die durch die medizinische Wissenschaft zu erkennen sind. Das in der Medizin angewandte Kriterium zur Feststellung des Todes soll als wissenschaftlich zuverlässige Methode zur Identifizierung jener biologischen Anzeichen verstanden werden, die den Tod der menschlichen Person eindeutig beweisen.
Papst Johannes Paul II. weist in seiner Ansprache darauf hin, „dass das heute angewandte Kriterium des Todes, nämlich das völlige und endgültige Aussetzen jeder Hirntätigkeit, nicht im Gegensatz zu den wesentlichen Elementen einer vernunftgemäßen Anthropologie steht, wenn es exakt Anwendung findet. Daher kann der für die Feststellung des Todes verantwortliche Arzt dieses Kriterium in jedem Einzelfall als Grundlage benutzen, um jenen Gewissheitsgrad in der ethischen Beurteilung zu erlangen, den die Morallehre als moralische Gewissheit bezeichnet.“
Der wissenschaftliche Beirat der Bundesärztekammer hat zuletzt 1997 überarbeitete Richtlinien zur Feststellung des Hirntodes erlassen, die mit dem Transplantationsgesetz von 1997 im Einklang stehen. Der Hirntod wird demnach dann festgestellt, wenn die Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms erloschen ist. Die Organentnahme nach der Feststellung des Hirntodes hat somit nicht die Tötung eines Menschen zur Folge, sondern sie erfolgt an einem toten Körper. Dass bei Hirntoten, die beatmet werden, weiterhin das Herz schlägt und infolge dessen ein Blutdruck besteht, ist darauf zurück zu führen, dass das Herz ein eigenes, vom Gehirn unabhängiges Reizbildungs- und Leitungssystem aufweist. Körperliche Reaktionen des toten Organspenders erfolgen ebenfalls unabhängig vom Gehirn als spinale (im Rückenmark erzeugte) Reflexe.
Eine durch die Organentnahme herbeigeführte Tötung eines Menschen stünde immer im Widerspruch zur Lehre der Kirche. Papst Benedikt XVI. fordert deshalb in seiner Ansprache eindringlich, im Bereich der Todesfeststellung jeglichen Willkürverdacht auszuschließen und dort, wo noch keine Gewissheit erreicht ist, das Prinzip der Vorsicht walten zu lassen, denn das Leben des Spenders ist zu achten und die Entnahme lebenswichtiger Organe ist nur angesichts des wirklichen Todes erlaubt. Einer Organübertragung, die in ethisch akzeptabler Form geschieht, bringt der Papst jedoch hohe Wertschätzung entgegen. „Der Akt der Liebe, der durch die Gabe der eigenen lebenswichtigen Organe ausgedrückt wird, bleibt ein echtes Zeugnis der Nächstenliebe, die über den Tod hinaus zu sehen weiß, weil das Leben immer siegt. Der Empfänger sollte sich der Bedeutung dieser Geste wohl bewusst sein; er ist der Empfänger einer Gabe, die über den therapeutischen Nutzen hinausgeht. Noch bevor er ein Organ empfängt, ist es zuerst schon ein Zeugnis der Liebe, das eine ebenso großzügige Antwort hervorrufen sollte, um die Kultur der Gabe und der Unentgeltlichkeit zu fördern.“
Ein Sprecher des Bistums erklärte gegenüber MEDRUM, dass es Pfarrer Hirsch zugebilligt werde, in der Frage der Organspende eine von der kirchlichen Position abweichende, persönliche Überzeugung zu haben, dass es aber nicht akzeptabel sei, wenn Pfarrer Hirsch sich weigere, neben seiner Auffassung auch die kirchliche Position zur Organspende im Pfarrgemeindeblatt zu veröffentlichen. Casus belli war demnach nicht die Glaubens- und Gewissensüberzeugung von Pfarrer Hirsch, sondern seine Weigerung, als Amtsträger der Kirche eine kirchliche Position zu veröffentlichen.
Die Trennung vom Amt des Gemeindepfarrers geht einher mit der Rückkehr von Pfarrer Hirsch zu seiner Priesterbruderschaft St. Petrus. "So kurz war noch nie ein Pfarrer in Violau", schrieb die Augsburger Allgemeine.
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tz München -> Augsburg: Pfarrer (40) verteufelt Organspende
Augsburger Allgemeine -> Bistum Augsburg trennt sich von Pfarrer Hirsch
Pfarrbrief -> Pfarrbrief Nr. 9 vom 10.10.2009 bis 01.11.2009
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