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SPD will Grundgesetz um "sexuelle Identitäten" ändern


06.01.10

SPD will Grundgesetz um "sexuelle Identitäten" ändern

Gesetzesantrag im Bundestag soll unterschiedliche Behandlung sexueller Orientierungen unmöglich machen

(MEDRUM) Die SPD-Fraktion will das Grundgesetz ändern und das Merkmal der "sexuellen Identität" in das Gleichbehandlungsgebot der Verfassung einfügen. Dazu hat sie im Bundestag einen Gesetzentwurf vorlegt.

In Artikel 3 Absatz 3 des Grundgesetzes heißt es: "Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden." Nach den Vorstellungen der SPD sollen nach den Wörtern "wegen seines Geschlechtes" die Wörter „seiner sexuellen Identität“ eingefügt werden. Die Aufnahme der sexuellen Identität in das Grundgesetz wurde bereits 1993 von der gemeinsamen Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat diskutiert und abgelehnt (vgl. Auszug aus Drucksache 12/6000).

Die Sozialdemokraten stellen zur Begründung ihres jetzigen Gesetzesentwurfes (DImagerucksache 17/254) unter anderem fest, Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender, transsexuelle und intersexuelle Menschen seien in unserer Gesellschaft auch heute noch Benachteiligungen ausgesetzt (Bild links zeigt Schwule). Nur eine Verfassungsänderung könne garantieren, daß Gesichtspunkte unterschiedlicher sexueller Orientierung künftig nicht mehr zu Benachteiligungen, Diskriminierungen oder Strafbarkeit führen würden. Als Beleg für die Notwendigkeit einer solchen Grundgesetzänderung nennt die SPD das frühere geltende Strafrecht, nach dem "Unzucht zwischen Männern" strafbar gewesen sei. Dies sei im Rahmen des derzeit geltenden Grundgesetzes möglich gewesen. Durch ein ausdrückliches Verbot der Benachteiligung unterschiedlicher sexueller Identitäten soll es deswegen dem Gesetzgeber durch die Verfassung künftig unmöglich gemacht werden, derartige gesetzliche Regelungen mit einfacher Gesetzesmehrheit zu beschließen.

Die Konsequenzen einer solchen Verfassungsänderung, die eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat erfordert, gehen jedoch über Gesichtspunkte der Strafbarkeit hinaus. Denn das Benachteiligungsverbot verhindert nicht nur, bestimmte sexuelle Tatbestände abhängig von der sexuellen Orientierung unter Strafe zu stellen, sondern fordert zugleich, unterschiedliche sexuelle Orientierungen und darauf beruhende Lebensweisen und Lebensformen in allen Gesetzen grundsätzlich gleichzubehandeln. Es kommt deswegen einem umfassenden Verbot für den Gesetzgeber gleich, unter dem Gesichtspunkt der sexuellen Orientierung unterschiedliche gesetzliche Regelungen zu treffen. Dies schließt alle Regelungen ein, einerlei ob das Strafrecht, Steuerrecht, Arbeitsrecht, Beamtenrecht, Kindschaftsrecht oder andere Rechtsbereiche davon berührt sind. Damit wird es Menschen mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen und Neigungen ermöglicht, sich Benachteiligungen zu widersetzen und mit Hilfe der Verfassung in allen staatlichen und gesellschaftlichen Bereichen ihre Interessen auf Gleichbehandlung durchzusetzen.

Eine vergleichbare Initiative der Bundesländer Berlin, Bremen und Hamburg fand Ende 2009 im Bundesrat keine Mehrheit. Volker Beck, Bundestagsabgeordneter von Bündnis 90 / Die Grünen, nannte die Ablehnung ein Armutszeugnis. Eine Grundgesetzänderung gehört auch zu seinen Vorstellungen über einen Nationalen Aktionsplan gegen Homophobie. Er erklärte dazu: "Der Staat kann so lange nicht mit voller Glaubwürdigkeit gegen Homophobie eintreten, ehe er Schwule und Lesben nicht rechtlich gleichstellt. Wenn der Staat eine Bevölkerungsgruppe schlechter stellt als andere, sendet er ein fatales Signal in die Gesellschaft. Er sagt damit, dass ihm diese Menschen weniger wert sind. Das bestärkt Menschen in homophoben Einstellungen. Lesben und Schwule sind bis heute Bürgerinnen und Bürger minderen Rechts, gleichgeschlechtliche Paare trotz Eingetragener Lebenspartnerschaft rechtlich noch nicht voll gleichgestellt."

Mit dem jetzigen Gesetzentwurf entspricht die SPD nicht nur dem Anliegen von Volker Beck und dem "Lesben- und Schwulenverband Deutschlands (LSVD)", sondern auch dem seit vielen Jahren von der ehemaligen Justizministerin Brigitte Zypries verfolgten Vorhaben, Gleichheit für unterschiedliche sexuelle Orientierungen und Lebensformen in Staat und Gesellschaft als Verfassungsnorm zu verankern. Zypries will dadurch auf dem Weg über die Verfassung insbesondere erzwingen, daß eine unterschiedliche steuerliche Behandlung der Ehe und von geschlechtsgleichen Partnerschaften künftig nicht mehr möglich ist. Der Erfolg dieser Initiative hätte aber noch weitere Konsequenzen. So wäre es aus verfassungsrechtlichen Gründen vermutlich kaum noch möglich, bei der Adoption von Kindern zwischen Ehepaaren und homosexuellen Lebenspartnern zu unterscheiden. Es müsste dann als Benachteiligung der sexuellen Identität angesehen werden, wenn homosexuelle Lebenspartner anders als Ehepartner behandelt werden würden.

Um diese politischen Zielvorstellungen durchsetzen zu können, reichte Zypries das allgemeine Gleichbehandlungsgebot in Artikel 3 des Grundgesetzes nicht aus. Sie hatte es in ihrer Rede im Bundesrat im Oktober 2009 ein Recht "zweiter Klasse" genannt. Ihre Sichtweise wird durch den jetzigen Gesetzesantrag der SPD unterstrichen. Es heißt darin zu einem ausdrücklichen Diskriminierungsverbot: "Letztlich steht es für das deutliche Bekenntnis, dass Gesichtspunkte der sexuellen Identität eine ungleiche Behandlung unter keinen Umständen rechtfertigen können." Insgesamt soll mit der jetztigen Gesetzesinitiative erreicht werden, daß eine, auf Moral- und Wertvorstellungen beruhende Unterscheidung sexueller Verhaltens- und Lebensmuster, die von traditionell anerkannten Mustern abweichen, künftig an keiner Stelle mehr sachlich gerechtfertigt werden darf und auf diese Weise einem Wechsel von politischen Mehrheiten und dem Wandel von Moralvorstellungen entzogen werden.

ImageDie gesamte Tragweite einer solchen Verfassungsänderung ist derzeit nur in groben Umrissen überschaubar. Ob das Benachteiligungsverbot für die sexuelle Identität zum Beispiel auch Identitäten einschließt, nach deren Verständnis etwa auch polygame oder "queere" Lebensformen und Partnerschaften gehören, geht aus dem Gesetzentwurf nicht hervor. Im Gesetzesantrag der SPD ist weder eine Definition noch Abgrenzung der "sexuellen Identität" enthalten. Es sind demnach auch keine Grenzen der sexuellen Identität bestimmt (beispielsweise zur Pädosexualität). Ebenso wenig werden die Konsequenzen und die Tragweite der vorgeschlagenen Verfassungsänderung in rechtlicher, finanzieller, gesellschaftlicher oder kultureller Hinsicht aufgezeigt, geschweige denn diskutiert. Dies gilt gleichermaßen für Alternativen zu der jetzt vorgeschlagenen Verfassungsänderung. Die SPD stellt dazu lediglich fest: "keine". Auch eine Begründung für diese Feststellung liefert der Gesetzesantrag nicht. Unterzeichnet ist der Antrag von Frank-Walter Steinmeier.


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