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Lebst du noch? Oder bist du hirntot? Oder schon gestorben?


26.02.15

Lebst du noch? Oder bist du hirntot? Oder schon gestorben?

Der Hirntod ist aus Sicht des Deutschen Ethikratrates eine Voraussetzung für Organspenden, aber kein unumstrittenes Kriterium für die Unterscheidung zwischen Leben und Tod

(MEDRUM) Das Leben hängt manchmal am seidenen Faden, bei Lebenden, Kranken und Todgeweihten. Auch Menschen, die als hirntod gelten, haben noch Leben in sich. Ob sie noch Lebende, Sterbende oder schon gestorbene Menschen sind, wenn ihnen Organe entnommen werden, ist eine Frage, über die es keine letzte Gewißheit gibt. Dies zeigt die Stellungnahme des Ethikrates vom Dienstag.

Zur Organspende sagt der Ethikrat grundsätzlich:

"Die Möglichkeit, mithilfe der Transplantationsmedizin Leben zu retten, birgt sowohl medizinische als auch rechtliche und ethische Fragen. Hierbei ist zu unterscheiden, ob es um die Lebendspende oder um postmortale Organspende geht. Im Vordergrund der öffentlichen Diskussion stehen immer wieder einerseits der Organmangel und verschiedene Lösungsansätze, diesem (auch politisch) zu begegnen, andererseits die Frage, ob der für die Transplantationsmedizin zugrunde gelegte Hirntod das richtige Kriterium zur Feststellung des Todes eines Menschen ist. Unter dem Blickwinkel der Ethik wird vor allem über Begriff und Zeitpunkt des Todes, über Kriterien einer gerechten Organallokation und über die Freiwilligkeit der Organspende nachgedacht. Weitere Themen betreffen die Aufklärung der Angehörigen über den Prozess der Organentnahme, die psychische Verarbeitung nach Erhalt eines Spenderorgans, aber auch illegalen Organhandel und Fragen nach der Kommerzialisierung des Körpers."

Hirntod ein Entnahmekriterium

In seiner gestern herausgegebenen, ingesamt 189 Seiten umfassenden Stellungnahme stellte der Ethikrat mit Blick auf die aktuelle Bedeutung der Entnahme von Organspenden fest:

  • Einstimmig ist der Deutsche Ethikrat der Auffassung, dass am Hirntod als Voraussetzung für eine postmortale Organentnahme festzuhalten ist.
  • Die Mehrheit des Deutschen Ethikrates ist dabei der Auffassung, dass der Hirntod ein sicheres Todeszeichen ist und die Spende lebenswichtiger Organe nur zulässig sein darf, wenn der Tod des möglichen Organspenders festgestellt ist (Dead-Donor-Rule).
  • Eine Minderheit des Deutschen Ethikrates hält dagegen den Hirntod nicht für den Tod des Menschen und weist dem Hirntod lediglich die Rolle eines notwendigen Entnahmekriteriums zu.

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Kontroverse um Todesverständnis

Auch mit der jüngsten Stellungnahme ist somit keine eindeutige Aussage verbunden, ob der Hirntod als Tod des Menschen betrachtet werden kann oder nicht. Der Ethikrat selbst sagt dazu, dass er die öffentliche Diskussion der Kontroversen befördern möchte. Wörtlich:

"Diese Kontroversen betreffen die Frage, ob das Hirntodkriterium ein überzeugendes Kriterium für den Tod des Menschen ist."

Für das Verständnis, was als Tod des Menschen zu betrachten ist, reichen nach Auffassung des Ethikrates medizinische Kriterien alleine nicht aus. Der Ethikrat sagt dazu:

"Um die Frage nach dem Verständnis des Todes zu beantworten, bedarf es philosophisch-anthropologischer Interpretationen. Todesverständnisse sind durch unterschiedliche Vorstellungen davon geprägt, was den Menschen ausmacht. Entsprechend zeigt sich in der Kulturgeschichte eine erhebliche Varianz von Todesverständnissen. Dies spiegelt sich auch in der philosophischen Reflexion über das Phänomen des Todes wider."

Glaubensüberzeugungen und religiöse Vorstellungen werden in der Stellungnahme des Ethikrates zwar nicht explizit benannt und diskutiert. Es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass diese bei einem weitgehenden Verständnis des Begriffes "philosophisch-anthtopologischer Interpretationen" subsumiert werden dürfen.

Organspenden ethisch vertretbar, aber nicht verpflichtend

Insgesamt kann festgehalten werden, dass eine eindeutige und allgemeinverbindliche Aussage über Leben und Tod auch aus Sicht des Ethikrates nicht möglich ist. Dies wird durch die Feststellung des Ethikrates unterstrichen, dass im Deutschen Ethikrat umstritten ist, "ob der irreversible Ausfall aller Hirnfunktionen als Todeskriterium anzuerkennen ist".

Die Vorsitzende des Ethikrates, Prof. Dr. med. Christiane Woopen, stellte im Interview mit dem heute-journal des ZDF am 24.02.15  fest, wenn ein hirntoter Mensch, der in einer allerletzten Lebensphase sei, Organe spenden möchte, um anderen Menschen zu helfen, sei dies ethisch und verfassungsrechtlich vertretbar, eine ethische Verpflichtung zur Organspende gebe es allerdings nicht.

Die Stellungnahme des Ethikrates → Hirntod und Entscheidung zur Organspende


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Leserbriefe

Dem Hirntod als Kriterium für eine Organspende liegt die Vorstellung zugrunde, dass Wahrnehmung und Bewusstsein identisch mit der Hirntätigkeit sind. Geist, Seele und Bewusstsein werden dabei als die Folge hochkomplexer biochemischer Abläufe verstanden.

Nach diesem materialistischen Verständnis ist der Mensch als Person tot, sobald keine Hirntätigkeit mehr nachweisbar ist.

Der niederländische Arzt und Kardiologe Pim van Lommel hat sich eingehend, mit wissenschaftlicher Akribie und Systematik, mit dieser Thematik befasst und die Ergebnisse in seinem Buch "Endloses Bewusstsein" der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Dabei berichtet er von Patienten, bei denen die Hirn- und Herztätigkeit vollständig ausgesetzt hatte und damit klinisch tot waren, die aber nach ihrer Reanimation davon berichten konnten, dass ihr Bewusstsein völlig klar blieb wobei sie, zur Verblüffung der Ärzte, alles beschreiben konnten, was mit ihnen und um sie herum, während ihres klinischen Todes geschah.

Auch im Internet habe ich solche Berichte wie, "Hirntoter nahm Studium" auf, gelesen. Auch im Fernsehen wurde schon über solche Fälle berichtet. Das Bewusstsein ist offensichtlich etwas Immaterielles, das sich des Gehirns als Organ bedient. Im Gehirn wird man deshalb ebensowenig Geist und Bewusstsein finden, wie Licht im Auge oder den Nachrichtensprecher in der Elektronik des Fernsehgerätes.

Nach meinem Verständnis ist der Begriff "Hirntod" allein zum Zweck der Organentnahme geschaffen worden, weil Toten keine Organe entnommen werden können. Der Mensch ist erst als Leiche wirklich tot.

Auch ich bin der Auffassung, daß allein zu diesem Zweck der Hirntod definiert wurde. Immer hat als Tod gegolten, wenn Herzschlag und Atmung eingestellt und die Leichenstarre eingetreten war. Erst als die Organtransplantation möglich war, wurde die Hirntod-Theorie aufgestellt, weil die Organe von Toten für eine Transplantation nicht mehr brauchbar sind.

Danke für Ihr MEDRUM-Resumee über die Stellungnahme des deutschen Ethikrates zum Hirntod und Organspende. Eine wertvolle differenzierende Handreichung in dem Literaturverzeichnis der Stellungnahme möchte ich empfehlen: "Leben und Sterben im Herrn", eine Handreichung zur Organspende und Organtransplantation der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern" (ELKB)

Als Lebertransplantierter habe ich einerseits aus eigener Erfahrung Verständnis für eine ehrliche und differenzierte Befragung über Hirntod etc. Andererseits bin ich unendlich dankbar zu Gott, dem Organspender und einem großen interdisziplinären Ärzte- und Pflegeteam, dass ich heute nach Transplantation ein neues Leben als Geschenk erleben darf, wie ich mir das während langer, schwerer Erkrankung nie hätte träumen können.

Dieser Segen ist nur möglich durch die mutige Entscheidung zum Geschenk durch Organspender und den Angehörigen. Dieses Glück und tiefe Dankbarkeit erleben recht viele Transplantierte, manche schon über 20 Jahre lang - hier ein Dankeschön meiner Freunde in Lebertransplantierte Deutschland e.V..